Montag, 26. Dezember 2011

Das wahre Weihnachten in Kakuma?
oder
Gedanken von Flüchtlingen zu Weihnachten

Der Advent verlief in Kakuma äußerst unspektakulär. Es gab äußerlich kaum Anzeichen dafür, dass das Weihnachtsfest naht.
  • Werbung und Anreize für mehr Konsum? Fehlanzeige - die Menschen hier sind viel zu arm, dass Firmen speziell auf diese Klientel setzen könnten. 
  • Einkaufstrubel oder Weihnachtsmärkte? Fehlanzeige - mangels Geld und Einkkaufsmöglichkeiten.
  • Advents- und Weihnachtsdekoration im Camp, in Kakuma Town oder im NGO Bereich? Fehlanzeige.
  • Kaltes Wetter oder gar Schnee? Fehlanzeige schließlich hat es zwischen 35 und 40 Grad Celsius.
Lediglich die Tagestexte der Gottesdienste deuteten daraufhin, dass bald die Menschwerdung Gottes gefeiert wird - sie sprachen von Umkehr und der Ankunft des Heilands. Und wie ist es nun an Weihnachten? Die Kapelle ist sehr karg und schmucklos.
Im Weihnachtsgottesdienst wurden
14 Jugendliche getauft.
Für mich ist dies alles sehr ungewohnt - aber entspricht dies nicht dem historischen Advent und Weihnachtsfest? Feiern wir hier in Kakuma nicht einen wahren Advent und ein wahres Weihnachtsfest? Wurde vor 2000 Jahren groß die Geburt Christi angekündigt? Wurden die Häuser und Tempel festlich für dieses Ereignis geschmückt? Nein. Die Geburt Christi vollzog sich in einfachen Verhältnissen wie hier auch - in einem Stall wurde Christus geboren und zwar als Kind armer, einfacher Eltern; nicht in einem Palast und als Kind reicher, mächtiger oder besonders priviligierter Eltern.

Weihnachten als das Fest der Familie und der Liebe sowie der Geburt des Erlösers, welcher in die Welt gekommen ist, um die Welt zu versöhnen. Müssen solche Attribute auf Flüchtlinge nicht befremdlich wirken? Was kann Weihnachten für einen Flüchtling bedeuten, der von seiner  Familie getrennt ist oder sie verloren hat? Was kann Weihnachten für einen Flüchtling bedeuten, der im Exil ist, weil er in seiner Heimat Schwierigkeiten erfahren hat, weil er um sein Leben und das Leben seiner Familie gefürchtet hat, weil er verfolgt wurde. Wirkt da Weihnachten nicht vielleicht sogar wie eine Farce? Diese Fragen brannten mir geradezu auf den Nägeln, so dass ich zwei Flüchtlinge fragte, was für sie Weihnachten bedeutet.

Zusammen mit meinen beiden Mitbruedern Gary Smith und
Luis Amaral und der Praktikantin Liz bei der Feier zu Hause
an Heiligabend nach dem Gottesdienst.
Deogratias antwortete auf meine Frage: "Das Leben ist wahrhaftig manchmal schwer - manchmal  extrem unerträglich und es kommt mir vor wie die Hölle. Doch habe ich nicht bereits einen Teil der Verheißung Gottes - seines Heiles erfahren dürfen. Für mich ist es nicht selbstverständlich, dass ich bis hier nach Kakuma gekommen bin und nun in Sicherheit bin, dass sich Menschen um mich Sorgen, mir lebensnotwendige Dinge und Dienste angeboten werden, dass ich mit Freunden Höhen und Tiefen durchgehen kann. Gott kennt meine Situation, er selbst war ein Flüchtling und musste mit seinen Eltern nach Ägypten fliehen. An Weihnachten fühle ich mich von Gott gestärkt, er schenkt mir einen Funken Hoffnung und ermutigt mich. Und eines Tages hoffe ich das vollkommene Heil zu erhalten."

Unabhängig von Deogratis erzählt mir Martin ähnliches (von ihm habe ich bereits an anderer Stelle seine Lebensgeschichte geschildert - siehe hier). Er sagt: "Weihnachten ist eine Zeit des Feierns und des Kraftschöpfens. Gott hat mich in die Sicherheit geführt und erhält mich - sowohl durch die Hilfe von Organisationen, Bekannte und Freunde und durch das Gebet, so dass ich jedes Jahr Weihnachten feiern kann. Weihnachten ist die Verheißung, dass der Heiland auf die Erde kommt, aber es heißt nicht, dass mit seiner Ankunft bereits  die Erlösung vollendet ist. Weihnachten ist nur der Anfang, wichtiger ist für mich Karfreitag und Ostersonntag. Durch den Tod und die Auferstehung Christi haben wir die Zuversicht, dass Gott uns in unserem Leid begleitet und wir durch die Auferstehung bereits jetzt und am Ende unserer Tage die Erlösung erfahren dürfen."


Bei diesen Aussagen spüre ich immer wieder, dass dies nicht irgendwelche auswendig gelernte Phrasen sind, sondern mir persönliche Überzeugungen mitgeteilt wurden. Zwei Tage vor Weihnachten lese ich folgenden Text, in welchem ich meine Eindrücke und Gedanken wieder finde.
"Weihnachten ist eine Zeit der Freude aus gutem Grund: Es ist die Nachricht von einem Retter, der geboren ist und Licht in die Dunkelheit bringen will. Es ist die Nachricht von Gottes Frieden. Aber die Freude ist mehr als nur Heiterkeit. Für diejenigen, die nur eine gute Zeit in Gemeinschaft verbringen wollen, bringt Weihnachten nur wenig mehr als ein vorübergehendes Wohlgefühl. Danach geht das Leben weiter wie zuvor. Aber für diejenigen, die eine erdrückende Situation erleben und voll von Verzweiflung  sind, keinen wirklichen Sinn und keine Hoffnung verspüren entweder für sich selbst oder für die Welt - für diejenigen, die spüren, dass die Dinge schrecklich falsch ablaufen, für all diejenigen kann Weihnachten wirklich das Leben verändern."* 
Am Nachmittag des Weihnachtstages besuchte ich zusammen
mit Liz die Sicherheitsleute unseres Education Centers und
tranken gemeinsam eine Limo.

Ich wünsche allen eine gesegnete Weihnachtszeit und ein gutes Jahr 2012. 

An dieser Stelle möchte ich auch allen danken, die die Flüchtlinge im vergangenen Jahr durch Gebet und/oder Spenden unterstützt haben und auf diese Weise dazu beigetragen haben Hoffnung zu wecken.

*(aus: When the time was fulfilled. Plough publishing house. Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlages)

Dienstag, 13. Dezember 2011

Kontraste
oder
Von Scham, Chancenungleichheit und Ungewissheit

Als der Jesuit Hl. Franz Xaver 1542 mit dem Schiff von Portugal
nach Indien fuhr, ging er in Malindi für einige Tage an Land. Ich
bin hier mit drei Mitbrüdern in der Kapelle, in welcher er damals
die Eucharistie feierte.
Vor einigen Wochen nutzte ich die Chance für zwei Wochen Urlaub zu machen und ein wenig Tansania und die Küste Kenias zu besichtigen. Nach einem Zwischenstopp in Nairobi fuhr ich ins Noviziat nach Arusha und besuchte in Dar-Es-Salaam die Jesuitenschule und meinen deutschen Mitbruder P. Vitus Sedlmair. Im Anschluss schipperte ich mit der Fähre nach Sansibar und zurück und fuhr dann mit dem Bus nach Mombasa und Malindi in Kenia. Eine etwas größere Reise, aber insgesamt weder besonders teuer noch außergewöhnlich, oder? Nein, ganz stimmt dies nicht. Es kommt nämlich auf die Perspektive an. 
Einige Tage bevor ich Kakuma verließ und es den Flüchtlingen erzählte, die mit dem JRS arbeiten, schämte ich mich ordentlich dafür. Am liebsten hätte ich gar nicht davon erzählt und mich heimlich davon geschlichen. Doch warum? Flüchtlingen ist es nicht gestattet einfach einmal Kakuma zu verlassen. Dafür benötigen sie eine Reisegenehmigung vom UNHCR. Diese ist erhältlich, wenn ein Arzt in Nairobi aufgesucht werden muss oder ausnahmsweise für den Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landesteil. (Etliche Flüchtlinge fahren auch ohne gültige Papiere nach Nairobi und hoffen nicht von der Polizei kontrolliert zu werden - anscheinend kann dies jedoch mit ein wenig Geld geregelt werden). Gar in ein anderes Land zu reisen, ist für Flüchtlinge aber vollkommen unmöglich. Und auch durchschnittlich 20 Euro pro Tag für Bus, Übernachtung und Verpflegung aufzubringen, ist für viele Flüchtlinge nahezu unmöglich. Entsprechend erstaunlich empfand ich die erhaltenen guten Wünsche für meine Fahrt. Ich konnte keinen Neid wahrnehmen. Und als ich wieder nach Kakuma zurückkehrte, wurde ich mit großer Freude empfangen. Ich fühlte mich so beschämt!
Badende Kinder in Stonetown auf Sansibar
Während meiner Reise stach mir ins Auge, wie groß doch die Unterschiede zwischen den Lebens- und Ausgangsbedingungen für Kinder sein können. Auf Sansibar und an der kenianischen Küste waren Kinder ordentlich angezogen, badeten im Meer, freuten sich des Lebens... Touristen lassen ordentlich Geld da - wovon auch Kinder profitieren. Als ich dann in Lodwar ankam, der Provinzhauptstadt zu welcher auch Kakuma gehört, kamen mir immer wieder Kinder in zerrissenen, schmutzigen Kleidern entgegen und bettelten. Von Freude war nicht das geringste zu spüren. In Kakuma geht es sowohl Kindern der Gastgemeinde als auch Flüchtlingskindern besser - die Präsenz der Organisationen hat materiell einen positiven Effekt - aber die Lage ist für Kinder hier trotzdem schwierig. Welch einen Unterschied es macht, ob man an der Küste Kenias oder in der Halbwüste Turkanas geboren ist (ganz zu schweigen von dem extremen Unterschied, ob jemand in der Halbwüste Turkanas oder in Deutschland geboren ist).
Noch ein weiterer Aspekt bereitete mir in den letzten Wochen Gedanken. Viele Erwachsene Flüchtlinge begannen ein Studium in ihrer Heimat und mussten die Heimat verlassen, ohne es beenden zu können. Jetzt sind sie hier in Kakuma und wissen nicht, was die Zukunft bringt. Ein junger Kongolese erzählte, dass er im dritten Studienjahr Biochemie war, als er nach Kenia floh. Das Studium zu beenden ist hier unmöglich und was bringt die Zukunft? Wird er wieder in die Heimat können? Wahrscheinlich nicht! Falls er von den USA, Kanada oder Australien aufgenommen wird, was kann er dann dort arbeiten? Er hat keine abgeschlossene Ausbildung! Ihn quält die Ungewissheit, was er eines Tages einmal machen wird. Und wie lange bleibt er hier in Kakuma? Wer weiß dies schon. So geht es vielen. Ein Äthiopier meinte, dass die Ungewissheit, wie lange er noch in Kakuma ist, für ihn das schlimmste sei. Als Strafgefangener im Gefängnis sei wenigstens klar wann man wieder frei sei. Er ist bereits 18 Jahre hier - aber wie lange wird er noch hier sein?
Auch bei diesen Berichten muss ich immer wieder schlucken. Was kann ich schon auf solche Geschichten antworten - ich hatte gute Studienmöglichkeiten und ich weiß, dass ich nach insgesamt knapp zwei Jahren wieder in Deutschland sein werde.
Der Strand auf Sansibar - klares Wasser und weißer Sand
Als ich während meines Urlaubs abends am Strand saß und über diese Dinge nachdachte, so konnte ich Gott nur für die empfangenen Wohltaten danken und für die Menschen bitten, die nicht die entsprechenden Chancen haben und mit ihrem Schicksal leben müssen.

Montag, 21. November 2011

Von Bedrängnis und Toleranz
oder
Die Beziehungen zwischen den Gläubigen verschiedener Religionen und Konfessionen

Seit August treffe ich mich sonntags mit einer Gruppe, die sich mehrheitlich aus jungen Kongolesen zusammensetzt. Beim ersten Treffen berichteten sie, dass sie häufig von Christen anderer Kirchen bzw. Muslimen aggressiv mit verschiedenen Behauptungen konfrontiert werden, um sie in Bedrängnis zu bringen und zu überzeugen, dass wir Katholiken bzw. wir Christen einem Irrglauben aufsitzen. Wie die Kongolesen berichteten, führt dies bei ihnen zu Unsicherheiten, Spannungen und Abwehrreaktionen. Auch dies gehört zur Realität des Flüchtlingslagers Kakuma. Bei solchen Berichten ärgere ich mich über die Intoleranz und mangelnden Respekt zwischen den Flüchtlingen und ich frage mich spontan: "Ist es richtig, dass die Dienste des JRS allen Flüchtlingen offen stehen?", schließlich sind wir eine katholische Organisation. Und immer wieder komme ich dann zum Schluss:
  1. Nur eine Minderheit greift verbal die Gläubigen anderer Religionen und Konfessionen an - die große Mehrheit toleriert und respektiert den Glauben der anderen. 
  2. Ich  bin davon überzeugt, dass die Offenheit unsere Dienste allen Flüchtlingen unabhängig von Religion und Konfession bereit zu stellen, oftmals als ein positives Signal wahrgenommen wird. Dadurch wird die Menschenwürde eines jeden anerkannt, die Brüderlichkeit zwischen den Religionen und Nationen betont und Spannungen werden abgebaut.
Nach einigen Diskussionen mit den Kongolesen, beschlossen wir jeden Sonntag ein religiöses Thema aufzugreifen, und zwar um 1. einen eigenen klaren Standpunkt zu entwickeln und 2. den Standpunkt der anderen zu verstehen und ernst zu nehmen. Diese beiden Punkte sind essentiell, um in einen Dialog mit  anderen Konfessionen und Religionen eintreten zu können.
Am Ende der Treffen besteht die Möglichkeit bei Tee und
Keksen noch ein wenig zu plaudern.
Meist wissen die jungen Kongolesen nur wenig  vom Islam. Ebenso gibt es viele Lücken was den eigenen Glauben betrifft. Entsprechend überrascht sind sie, dass der Koran viele unserer Anliegen teilt, viele Personen des Alten Testaments auch Teil des Korans sind, Jesus von Muslimen als Prophet angesehen wird und sogar Maria als Prophetin verehrt wird und die Jungfrauengeburt Jesu ein selbstverständlicher Teil des Korans ist.

Allmählich gelingt es mir den jungen Kongolesen das Anliegen des 2. vatikanischen Konzils nahezubringen, dass „die katholische Kirche nichts von alledem ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (Nostra Aetate 2). Wichtig ist mir hierbei den eigenen Standpunkt nicht zu vernachlässigen und zu betonen, dass für uns Katholiken die Kirche „unablässig Christus verkündigt, der "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6) ist, in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden und in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“ (Nostra Aetate 2).

Vielleicht gelingt es in der Zukunft auch Muslime oder Christen
anderer Kirchen einzuladen und gemeinsam Tee zu trinken.
Wenn die jungen Kongolesen ihre Unsicherheiten abgebaut haben, wäre es schön in der Zukunft auch Muslime oder andere Christen zum Treffen einzuladen und wer weiß, vielleicht entsteht daraus ja auch ein Dialog.

Mein Eindruck ist, dass sich zwei wichtige Resultate einstellen, erstens eine Vertiefung des eigenen Glaubens und damit verbunden weniger Verunsicherungen bei kritischen Äußerungen anderer und zweitens eine wachsende Toleranz gegenüber anders Glaubenden, so dass die Aufforderung zur universalen Brüderlichkeit im Dokument Nostra Aetate des 2. vatikanischen Konzils ein wenig lebendiger wird. Dort heißt es: „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, daß die Schrift sagt: "Wer nicht liebt, kennt Gott nicht" (1 Joh 4,8)" (Nostra Aetate 5).

Samstag, 29. Oktober 2011

Der Jesuitenflüchtlingsdienst
Gründung, Schwerpunkte und Vision

Im Internet habe ich das nachfolgende Video "The Legacy of Arrupe's Vision" (Das Vermächtnis von Arrupes Vision) gefunden. In ihm werden sehr eindrücklich die Anfänge, die Schwerpunkte und die Vision des Jesuitenflüchtlingsdienstes geschildert.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Lebensgeschichten
oder
Traumatisiert und nun Zwangsheirat? Nein, danke!

Du weißt gar nicht
wie schwer die Last ist,
die du nicht trägst.
 
Afrikanisches Sprichwort


Grace ist 27 Jahre alt und aus dem Südsudan. Warum ist sie noch hier? Der Unabhängigkeitsprozess des Südsudan lief ohne große Auseinandersetzungen ab und laut UNHCR ist eine sichere Heimkehr möglich. Doch jeder Flüchtling hat seine eigene Geschichte und Gründe, weshalb er noch hier in Kakuma ist. Sei es Hoffnung ein wenig Bildung zu erlangen, seien es Traumatisierungen, die Angst vor einem Bürgerkrieg dieses Mal zwischen den Stämmen des Südsudan (zuletzt kam es zu einzelnen Auseinandersetzungen) oder die Angst davor Menschen zu begegnen, die vor nicht allzu langer Zeit die eigene Sippe verfolgten.
Auch Grace hat ihre ganz eigene Geschichte. Graces Grossvater war ein Stammeshäuptling und ihr Vater dessen Sohn. Entsprechend war Graces Familie ziemlich bekannt. Als Grace etwa 14 Jahre alt und somit allmählich im heiratsfähigen Alter ist, möchte einer der Rebellenführer Grace heiraten – die Rebellen gehen zu Graces Familie und fordern Grace solle mit ihnen mitkommen. Grace ist an diesem Tag nicht zu Hause.  Die Eltern weigern sich einer solchen Heirat zuzustimmen und werden darufhin brutalst geschlagen. Die Rebellen drohen eine Rückkehr an. Einige Tage später kommen die Rebellen wieder. Zuerst verlässt der Vater die Hütte, später die Mutter. Sie reden mit den Rebellen. Grace befindet sich in diesem Augenblick in einer Nachbarhütte und wird von den Erwachsenen dort zum Wasser holen geschickt.  Sie benötigt ein wenig Zeit und auf dem Rückweg sieht sie, das im Dorf etwas brennt – wie sich herausstellt sowohl die Hütte ihrer Familie und einige andere Hütten. Sie lässt den Wasserkrug fallen und rennt zum Dorf zurück – sie will sehen was geschehen ist. Nachbarn wollen sie davon abhalten, aber es gelingt ihnen nicht. In der Nähe der Hütte liegen ihre beiden Eltern tot auf dem Boden – die Kehle durchgetrennt.
Grace ist noch einige Zeit bei Verwandten bevor sie dann 2001 nach Kakuma flieht. Nach Kakuma kommen dann auch ihr Bruder und ihre Schwägerin sowie deren Kinder. Der Bruder stirbt jedoch bald und die Schwägerin und deren Kinder werden daher von Australien aufgenommen. Grace ist nun alleine in Kakuma. Eine Schwester von Grace wird um 2006 im Suedsudan verheiratet; bald darauf stirbt ihr Mann. Da die Familie des Mannes eine horende Mitgift bezahlt hat und die Schwester von Grace beschuldigt wird auf irgendeine Art und Weise am Tod des Ehemannes beteiligt gewesen zu sein, so soll Graces Schwester nun den Vater ihres Ehemannes heiraten. Graces Schwester rennt davon, woraufhin Graces Onkel  aufgefordert wird die Mitgift zurückzubezahlen, doch er will nicht und kann nicht (es stehen 25 Kühe und noch einige andere teure Dinge auf dem Spiel). Der Onkel von Grace lässt nach ihr suchen und findet sie. Er fordert sie auf zurück in den Südsudan zu kommen und den Vater ihres verstorbenen Schwagers zu heiraten. Grace weigert sich und kann sich den Boten entziehen. In etwa jährlich kommen Boten des Onkels, bitten sie zurückzukehren und den Vater ihres verstorbenen Schwagers zu heiraten (sie waere mittlerweile seine 5. Ehefrau). Da Grace in Kenia ist, fällt es dem Onkel nicht leicht sie ohne ihren Willen zurück zu holen.
Grace kann nicht zurück in den Südsudan – die Erfahrungen traumatisierten sie und die Angst vor dem Onkel schrecken sie davor ab. Da sie aus dem Südsudan ist, welcher mittlerweile als “sicher” gilt, bestehen nur begrenzt Möglichkeiten von einem anderen Land aufgenommen zu werden. Sie müsste alle ihre Erlebnisse detailliert schildern, doch sie will nicht einem Fremden davon erzählen und sie hat Angst vor den möglichen aufkommenden Bildern in ihrem Gedächtnis. Wer weiß, wie lange sie noch in Kakuma bleibt.

Donnerstag, 29. September 2011

Eindrücke aus dem Nirgendwo
oder
Impressionen aus Kakuma



Bei der Durchsicht meiner bisherigen Posts ist mir aufgefallen, dass ich bisher kaum ueber die Stadt Kakuma berichtet und gar keine Bilder von dort gepostet habe. Dies will ich nun nachholen.

Wie frueher bereits einmal erwaehnt bedeutet der Name Kakuma in Kiswahili soviel wie Nirgendwo. Kakuma liegt in der Region Turkana; wobei die Einheimischen dem gleichnamigen Stamm angehoeren. Die Gemeinde zaehlt rund 80.000 Einheimische, die meist in kleinen Siedlungen einige hundert Meter oder einige Kilometer vom Stadtkern entfernt leben, sowie etwa 80.000 Fluechtlinge.

Das Foto rechts habe ich vom Wassertank des Ortes aufgenommen. Dieser Wassertank hat fuer die meisten Menschen jedoch keine Bedeutung, da in Kakuma sehr wenige Haushalte an das Wassersystem angeschlossen sind - wenn es einige hundert Personen sind, so duerften es bereits viele sein. Auf dem Foto ist auf der rechten Seite das Missionhospital zu sehen. Fuer die lokale Bevoelkerung stellt es die einizige medizinische Versorgung dar. Im rund 130 Kilometer entfernten Lodwar ist dann wieder ein Arzt zu finden. Das Missionhospital wurde von Ordensschwestern gegruendet und noch immer sind einige  Ordensschwestern dort taetig - das Krankenhaus ist in Traegerschaft der katholischen Dioezese. In der Mitte des Fotos ist ein rotes Gebaeude sichtbar. Es ist die katholische Kirche. Die meisten Menschen bekennen sich in Kakuma zur katholischen Kirche. Aber es gibt wenigstens noch ein dutzend andere Kirchen in Kakuma, wie z.B. die Cornerstone Church, Worldwide Church of God, Reedemer Church, Anglican Church, Ethiopian Orthodox Church, Baptist Church, Presbyterian Church etc. Es scheint so, als ob jeder, der etwas auf sich haelt eine eigene Kirche gruenden muss.
Viele Menschen leben in Huetten, wie sie auf dem linken Foto zu sehen sind. Die Huetten sind aus Stroh, Gras und Buschzweigen und haeufig mit Plastikplanen abgedeckt, fuer den Fall dass es regnet. Wenn es allerdings richtig stark regnet, wie es dieses Jahr einige Male der Fall war, dann steht die Huette am Ende vollkommen unter Wasser und alles versinkt im Schlamm.

Landwirtschaft kann in Kakuma nur begrenzt betrieben werden. Es regnet zu selten und es ist viel zu heiss. Daher konzentrieren sich viele Menschen auf Viehhaltung - es gibt vereinzelt Kuehe, Kamele oder Esel, am weitesten verbreitet sind Ziegen. Da nicht immer genuegend Futter vorhanden ist, muessen die Herden zeitweise von einem Platz zum naechsten ziehen. Entsprechend haben sich einzelne Menschen zu Nomaden entwickelt. 
 
Auf dem Foto oben ist die traditonelle Kleidung der Turkana zu sehen. Frauen tragen dutzende Perlenschnuere um den Hals, besonders junge Frauen, aber es gibt auch etliche alte Frauen, die diesen Schmuck tragen. Ein Fluechtling erzaehlte einmal, dass der Schmuck nur einmal woechentlich zum Waschen abgenommen wird - alles andere sei sonst zu aufwaendig. Wenn der Schmuck abgenommen sei, werde erst sichtbar wie extrem lang der Hals sei. Viele Maenner haben immer ihren Stock und ihren kleinen Hocker dabei. Der Stock dient zur Selbstverteidigung und auf den Hocker setzen sie sich bei jeder Gelegenheit - wenn sie warten muessen, das Vieh hueten oder sich einfach nur im Schatten versammeln.

Da Kakuma am Ende der Welt ist und hier fast gar nichts produziert wird, muessen alle Gueter mit Transportern bzw. LKWs ueber weite Strecken nach Kakuma gebracht werden. Entsprechend ist es schon erstaunlich, dass so viele verschiedene Dinge in Kakuma erhaeltlich sind. Von verschiedenen Getraenken (wie Cola, Sprite, Fanta, verschiedene Biere...), Milchprodukte (Milch, Yoghurt, Buttermilch), Gemuese, Getreide und Obst und alles erdenkliche fuer den Haushalt (wie Putzzeug, Hygieneartikel, Kochtoepfe...) und vieles mehr.
Auf dem Foto oben ist zu sehen, wie Getreide verkauft wird - an dutzenden Staenden werden die gleichen Getreidesorten verkauft. Mir stellt sich die Frage, ob mit diesem Handel wirklich etwas verdient wird oder es sich schon fast um Zeitvertreib handelt. Auf dem linken Foto verkaufen Frauen Gemuese - abermals sitzen sie in einer langen Reihe und warten auf Kunden. Wenn ich kurz vor Daemmerung an diesen Frauen vorbeigehe, so haben sie meist noch volle Schubkarren vor sich. Das Gemuese wurde meist rund 300 Kilometer transportiert und da es in Kakuma immer heiss ist, laesst sich Gemuese nur schwer lange lagern. Mich interessiert es unheimlich, wie viel am Ende wirklich bei den vielen kleinen Haendlern haengen bleibt. 
Es muss also viel transportiert werden und zwar ueber lange Strecken. Da kann es natuerlich vorkommen, dass das eine oder andere Gefaehrt dabei auf der Strecke bleibt. In Kakuma wurde daher beschlossen einzelne Gefaehrte im Zentrum einfach stehen zu lassen, um Kindern ein Abenteuer- und Freizeitparkvergnuegen zu garantieren. Ueberhaupt sind Kinder hier wesentlich leichter zufrieden zu stellen und koennen mit Kleinigkeiten spielen. So sind Kleinkinder schon zufrieden, wenn man ihnen einen Tetrapack gibt, diesen ein wenig zurecht schneidet, so dass er wie ein Auto aussieht und dann noch vier Flaschendeckel montiert, die als Raeder dienen (leider habe ich davon kein Foto). Diesen Tetrapack ziehen sie dann mit Freude hinter sich her.
Andere Kinder freuen sich darueber einen etwas groesseren Plastiksack zu suchen, ihn mit Tueten zu fuellen und irgendwie zusammen zu knoten. Schon ist der perfekte Fussball fertig. Wenn ich an einem bestimmten Haus vorbeikomme, sehe ich haeufig zwei Kinder mit Fahrradreifen, die sie vor sich herrollen und mit Freude hinterher rennen.
Auch wenn es einige Weisse hier gibt, so ist fuer Kinder mein Anblick immer wieder eine Sensation. Die Frage "How are you?" wird x-Mal gestellt. Selbst wenn man sie beantwortet, dann wird sie sofort nochmals gestellt und nochmals und nochmals. Die groesste Freude ist es dann fuer viele noch, wenn man einen Foto schiessen moechte.
 



Da es in vielen Siedlungen keine Pumpbrunnen gibt, gehen viele Menschen zum Flussbett, welches meist ausgetrocknet ist und graben nach Wasser, wie es auch die Frauen auf dem Bild links tun. Nach dieser muehseligen Arbeit gilt es dann noch den Kanister nach Hause zu tragen, und zwar auf dem Kopf (siehe naechstes Foto). In Afrika wird vieles auf dem Kopf getragen und ausbalanciert - Holz, Wasser, Getreide- und Kohlesaecke... Ich finde es immer wieder faszinierend, dass nichts herunterfaellt, jedenfalls habe ich dies bisher noch nie beobachtet.





Als ich letztes Jahr in Turkana ankam, fragte ich mich einige Male, ob diese Huegel, die aussehen wie ausgestreckte Zeigefinger, eine religioese oder kulturelle Bedeutung haben (siehe Foto links). Diese Huegel waren besonders haeufig auf den 130 Kilometern vom Flughafen nach Kakuma zu sehen. Schliesslich fragte ich einen Kollegen, der mir dann schmunzelnd erklaerte, dass dies Termitenhuegel sind, die ueber Jahre hinweg so anwachsen. 
  











Das Foto rechts gibt einen Eindruck zur Vegetation in Kakuma. In der Nähe des meist ausgetrockneten Flussbetts gibt es einzelne Sträucher und Bäume. Weiter ausserhalb von Kakuma gibt es noch wesentlich weniger.

Ueber den Sonnenuntergang in Afrika ist immer wieder zu lesen, wie wunderbar rot er doch sei. Eben so wie auf dem Foto unten. Ist er nicht schön? Allerdings habe ich einen solchen Sonnenuntergang bisher nur einige wenig Male erlebt. Bin ich also überhaupt in Afrika?

Montag, 12. September 2011

Lebensgeschichten - oder - Warum ist dieser Mensch hier in Kakuma?

Was ist die Lebensgeschichte dieses Flüchtlings? Weshalb ist er in Kakuma im Flüchtlingslager und nicht in der Heimat, denn schließlich ist in den Medien doch von gar keinen Konflikten in dessen Heimatland zu hören. Diese oder ähnliche Fragen stellte ich mir in den letzten Monaten immer wieder. Manchmal erahne ich die entsprechenden Gründe, oftmals tappe ich vollkommen im Dunkeln. Mit der Zeit haben einzelne Flüchtlinge Vertrauen zu mir gefunden und mir ihre Lebensgeschichte erzählt. In den kommenden Monaten werde ich regelmäßig die Lebensgeschichten einzelner wiedergeben. Die Namen und Orte sind geändert und die betroffenen Flüchtlinge haben mir ihre Zustimmung gegeben unter diesen Umständen ihre Lebensgeschichte zu veröffentlichen. 

Heute berichte ich von Martin aus dem Kongo

Martin ist Anfang 20, stammt aus dem Kongo, wirkt psychisch gesund, ist im Umgang mit anderen sehr zuvorkommend und stets freundlich. Vor rund 2 ½ Jahren hat er seine Heimat verlassen und ist über Burundi und Uganda nach Nairobi in Kenia geflohen, von wo aus er vom UNHCR ins Flüchtlingslager nach Kakuma geschickt wurde. Martin ist das dritte von fünf Kindern in seiner Familie. Seine Eltern stammen aus unterschiedlichen Stämmen und waren bereits Flüchtlinge. Aufgrund von Konflikten im Kongo mussten sie ihre jeweiligen Dörfer verlassen und flohen an einen anderen Ort einige hundert Kilometer entfernt. Im Exil lernten sie sich kennen, verliebten sich ineinander und heirateten. Noch im Exil kamen Martins beide älteren Geschwister und er zur Welt. Als Martin sechs oder sieben Jahre alt ist, beschließen seine Eltern wieder in das Heimatdorf seines Vaters zurückzukehren. Die Familienclans sind entsetzt wegen der Familiensituation, da die einzelnen Stämme von Martins Eltern verfeindet sind – die gesamte Familie wird von beiden Stämmen ausgeschlossen und gilt aufgrund der Mischehe als geächtet. Martins Familie zieht weiter und Martins beide jüngeren


Neu angekommene Flüchtlinge vor ihrem Übergangszelt.
In den  nächsten Monaten haben sie die Möglichkeit Ziegel aus
Schlamm herzustellen und von einer Organisation ein Blechdach
zur Verfügung gestellt zu bekommen.  








Geschwister kommen zur Welt. Eine Zeit der kontinuierlichen Migration beginnt: Die Familie ist häufig zu Fuß auf der Flucht, da die Familie als Schandfleck angesehen wird und beide Seiten sie am liebsten auslöschen würden. Martins Vater und seine beiden älteren Geschwister werden getötet. Schließlich beginnt sogar ein Krieg zwischen den beiden Stämmen. Falls jemand in die Hände des verfeindeten Stammes gerät, kann es passieren, dass er festgehalten, gefoltert oder getötet wird. Martin und seine Familie gehören beiden Stämmen an und wenn sie Übeltätern in die Hände geraten, gehören sie immer zu den Feinden – aufgrund der Mischehe. Als Martin eines Tages mit seiner Mutter und einem Bruder auf der Flucht ist, werden sie zusammen mit vielen anderen gefangen genommen. Sie werden alle zusammen in einem Raum festgehalten und einzelne Gefangene werden nacheinander getötet. Vor Martins Augen werden auch seiner Mutter und seinem Bruder die Kehle durchgeschnitten. Er wartet nur darauf, dass auch er an der Reihe ist – aber dann ist die Erde mit Blut getränkt und die verbliebenen Gefangenen werden in den Wald gescheucht. So kommt Martin mit seinem Leben davon. Martin beschließt aus dem Kongo zu fliehen, möchte aber zuvor noch innerhalb des Kongo versuchen seine Schulbildung zu beenden, was ihm auch gelingt. Er muss sich jedoch in dieser Zeit immer wieder im Busch verstecken. Nun hat Martin sogar die Chance am Fernstudienprogramm teilzunehmen. Er glaubt, dass sein Antrieb intensiv lernen zu wollen und nebenbei auch noch in einer NGO zu arbeiten damit zusammenhängt, dass er die Vergangenheit und die Erfahrungen hinter sich lassen und endgültig verarbeiten will. Mit Hilfe des Studiums und den hoffentlich daraus erwachsenden Möglichkeiten soll nun für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnen.

Sonntag, 14. August 2011

Interpersonelle Kommunikation - ein Weg zur besseren Verständigung

In den vergangenen Wochen hatten Studenten im Fernstudiengang die Chance verschiedene Aspekte interpersoneller Kommunikation zu reflektieren und zu studieren. Neben der Definition des Begriffs interpersonelle Kommunikation und dem Einfluss von Kommunikation in verschiedenen sozialen Situationen wie auf Beziehungen am Arbeitsplatz und zu Hause, bestanden folgende Schwerpunkte: Analyse der persönlichen Art zu kommunizieren, die Interdependenz verbaler und nonverbaler Botschaften sowie das Erlernen von aktivem Zuhören. Drei Studenten (Agnes aus Kenia, Zawadi aus dem Kongo und James aus dem Sudan) berichten über ihre Erfahrungen.

Für Zawadi ist die wichtigste Erkenntnis wie sehr Selbstoffenbarung, Vertrauen, Respekt für den anderen und verbale/non-verbale Botschaften zusammenspielen. "Einerseits muss ich meinem Gegenüber vertrauen, wenn ich etwas Persönliches von mir preisgeben will, denn Selbstoffenbarung birgt stets das Risiko verletzt zu werden. Auf der anderen Seite werden Personen mir nur persönliches mitteilen, wenn ich in der Lage bin ihnen mit Respekt zu begegnen und sie mir vertrauen können. Bisher war mir nicht bewusst, wie sehr nonverbalen Botschaften den Kommunikationsprozess beeinflussen können. Bei Diskrepanzen zwischen verbalen und non-verbale Botschaften kann eine große Verunsicherung entstehen. "

 "Meine Art und Weise zu kommunizieren hat sich in den letzten Wochen stark verändert", erklärt Agnes. "Für mich ist es jetzt einfacher mit verschiedenen Menschen zu kommunizieren und dabei meine Weise der Kommunikation zu variieren in Abhängigkeit, ob es sich bei meinem Gesprächspartner um ein Familienmitglied, Freund, Fremden etc. handelt. Besonders die Erkenntnis inwiefern die eigene Selbstmitteilung und non-verbale Botschaften den Kommunikationsprozess beeinflussen können, hilft mir vieles aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ebenso glaube ich nun auch besser aktiv zuhören zu können und somit besser zu kommunizieren. "

Ein Experiment während des Kurses bestand darin einen Fremden anzusprechen und mit ihm ein Gespräch zu beginnen. Dies war für James die emotionalste Erfahrung des Kurses. "In der äthiopischen Gemeinde grüßte ich einen Fremden auf der Straße, fing an mich vorzustellen und versuchte ein Gespräch zu beginnen. Ich hatte große Angst und überlegte, wie er reagieren würde. Ich stellte fest, wie nervös ich war und meine Stimme war anders als gewöhnlich. Dieses Experiment hat mir geholfen mich selbst besser wahrzunehmen."

Während des Kurses wurden die Studenten aufgefordert eigene Erkenntnisse mit anderen Studenten zu teilen und gegenseitig zu kommentieren. Agnes, James und Zawadi sind sich einig, dass dieser Bestandteil sehr wichtig war. Der erhaltene positive Zuspruch von Kommilitonen tat gut; durch die gewachsene Erkenntnis, dass auch andere Schwierigkeiten haben zu kommunizieren, entstand Gemeinschaft und die Ideen und Aussagen anderer öffneten oftmals die eigenen Augen. Daher empfanden die drei Studenten das Diskussionsforum als sehr bereichernd.

Es ist zu hoffen, dass die Studenten die erworbenen Erkenntnisse im Alltag umsetzen können und dies zu mehr Toleranz und Verständnis in Familien und gesellschaftlichen Gruppen führt.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Krise in Ostafrika -- Der JRS errichtet einen Standort in Südäthiopien an der Grenze zu Somalia

In den letzten Wochen wurde ich haeufiger gefragt, wie die Situation in Kakuma sei, ob auch hier eine Hungersnot herrscht und viele Fluechtlinge ankommen. Insgesamt kann ich sagen, dass es in Kakuma recht ruhig ist. Aus Somalia kommen hier wenige Fluechtlinge an - wir sind schon fast 1000 Kilometer von der Grenze zu Somalia entfernt. Auch ist hier keine absolute Duerre, so dass die lokale Bevoelkerung durchaus hungert, aber keine Hungersnot herrscht. Neben der bestehenden Arbeit in Addis Ababa, Nairobi und Kakuma, wo bereits somalische Fluechtlinge unterstuetzt werden, beschloss der JRS nun sich in Suedaethiopien an der Grenze zu Somalia im Fluechtlingslager Dollo Ado zu engagieren. Die Aufgabenfelder werden zunaechst psycho-soziale Betreuung sowie Schulbildung fuer Fluechtlingskinder sein. 
Nachfolgend ist ein kurzer Artikel des Jesuitenfluechtlingsdienstes zur Situation in Ostafrika. Dieser Artikel ist auch unter folgendem Link auf der Homepage der Jesuitenmission zu finden.
http://www.jesuitenmission.org/infos-weltweit/aktuell-hilfe-fuer-ostafrika.html

Hilfe fuer Ostafrika
Ueber ein Viertel der somalischen Bevoelkerung befindet sich auf der Flucht vor Duerre und Hunger. Der Jesuitenfluechtlingsdienst (JRS) in Ostafrika unter der Leitung von Pater Pflueger SJ hilft seit Jahren Fluechtlingen in der Region.

Schätzungen zufolge sind 11 Millionen Menschen von der gegenwärtigen Dürre im östlichen Afrika betroffen. Am 20. Juli haben die Vereinten Nationen die Situation in zwei Regionen im Süden Somalias offiziell zur Hungersnot erklärt. Es muss schnell gehandelt werden, damit sich dieser Zustand nicht auf alle acht Regionen im Süden des Landes ausweitet.
Mutter und Kind im Fluechtlingslager
Viele Flüchtlinge aus Somalia sind länger als eine Woche unterwegs, um Hilfe auf der anderen Seite der Grenze zu suchen. Manche überleben den Weg nicht. Viele derer, die es schaffen, nehmen in den Flüchtlingslagern jenseits der somalischen Grenze die erste nahrhafte Mahlzeit seit Wochen zu sich. Die Hälfte der Kinder, die die Lager in Äthiopien und Kenia erreichen, ist schwer unterernährt; viele sterben.
Isak, ein einfacher Bauer, ist 20 Tage lang gelaufen. Sein Weg war von toten Tieren, leeren Dörfern, verhungernden Menschen und Leichen gesäumt. Er wacht am Krankenhausbett seines sechsjährigen Sohnes, der dem Tod nahe ist.

Langfristige Hilfe im Blick
Die Länder in der Region tun, was ihnen möglich ist. Mehr als 750.000 Somalis haben Zuflucht in den Nachbarländern gesucht; 423.000 allein in Kenia. Inmitten dieser humanitären Katastrophe hat der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) Pläne bekannt gegeben, sowohl seine bisherige Hilfe für somalische Flüchtlinge in Kenia und Äthiopien auszubauen als auch neue Projekte zu beginnen.
P. Pflueger im Gespraech mit Fluechtlingen
„Die Erstversorgung mit Nahrungsmitteln, Gesundheits- und Sanitärdiensten muss von den großen Organisationen übernommen und koordiniert werden; dafür sind wir zu klein. Aber in kürzester Zeit werden die Menschen in den Lagern mehr brauchen, um ein würdiges Leben zu leben. Sie brauchen Hilfe in ihrer seelischen Not, und die vielen Kinder und Jugendlichen brauchen Schulen, damit sie überhaupt etwas zu tun haben “, sagt Frido Pflüger SJ, Regionaldirektor des JRS im östlichen Afrika. „Wir richten uns derzeit darauf ein, unsere Hilfeleistungen auszubauen, um den Überlebenden zu helfen wieder ein einigermaßen normales Leben zu leben. Das sind keine reinen Notfallmaßnahmen, sondern eine Verpflichtung auf lange Zeit, denn die Menschen werden über Jahre hinweg in den Lagern und den Großstädten bleiben.“

Hilfe in Aethiopien
Schulbildung fuer Fluechtlingskinder ist ein Schwerpunkt
des JRS.
JRS befindet sich bereits in Gesprächen mit UNHCR und der Regierung in Äthiopien, um Flüchtlinge in Dollo Ado durch psycho-soziale Hilfe und Sekundärbildung zu unterstützen. Die meisten Flüchtlinge hier kommen aus der Bay Region westlich von Mogadishu, manche haben bis zu 30 Tage Fußmarsch hinter sich, wenn sie eines der fünf Lager erreichen. Die einzige Organisation, die bisher Bildungsaktivitäten angeboten hat, wird sich nun der Nahrungsmittelhilfe zuwenden. „Obwohl Nahrungsmittel an erster Stelle stehen, darf die Bildung nicht vernachlässigt werden“, sagt Seyoum Asfaw, JRS Direktor in Äthiopien. Noch existieren keine festen Schulgebäude, es findet alles in Zelten statt, aber eine Partnerorganisation von JRS hat bereits einen Platz auf dem Gelände gesichert, um eine Schule zu errichten.
„Noch stehen uns keine Gelder zur Verfügung, um unsere Arbeit in Dollo Ado aufzunehmen, aber wir zählen auf die Hilfe vieler Spender, denn wir müssen ja unsere Hilfsstrukturen von Null aufbauen. Ich werde Anfang August nach Dollo Ado fahren, um mir ein klares Bild über die Lage zu verschaffen, damit wir gut und verantwortlich planen können “, sagt Pater Pflüger.

Hilfe in Nairobi 
Lebensmittelverteilung fuer Fluechtlinge in Nairobi
Auch JRS Teams in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und im nordwestlich gelegenen Flüchtlingslager Kakuma bauen ihre Hilfe für somalische Flüchtlinge zur Zeit weiter aus. Es heißt, dass 43% der geschätzten 100.000 Flüchtlinge in Nairobi Somalis sind. Von JRS erhalten besonders bedürftige Flüchtlinge Nahrungsmittel, Decken, finanzielle Hilfe für die Mietzahlungen, medizinische Versorgung und psychologische Beratung. Flüchtlingskinder können ihre Schulbildung mit Hilfe von Stipendien fortsetzen. „Die, die in diesen Tagen nach Nairobi kommen, sind tagelang gelaufen und mussten Umwege nehmen, um al-Shabaab Milizen zu meiden. Viele Kinder sind unterwegs gestorben“, erklärt Irene Waweru, JRS Projektleiterin in Nairobi.

Hilfe in Kakuma
Im Flüchtlingslager Kakuma leben zur Zeit 80.000 Flüchtlinge, davon sind 55.000 Somalis. Ursprünglich waren die Aktivitäten des JRS in Kakuma auf sudanesische Flüchtlinge ausgerichtet, für die das Lager zunächst errichtet wurde. Aber seitdem Somalis die Mehrheit der Bevölkerung bilden, hat JRS seine Projekte
Fluechtlinge in Kakuma
angepasst. „Somalis haben eine völlig andere Kultur, Sprache und Religion. Die Alphabetisierungsrate unter ihnen ist extrem niedrig und Zugang zu Bildung ist dringend nötig, denn viele können nicht einmal ihre Bedürfnisse ausdrücken“, erklärt der JRS Projektleiter in Kakuma.
Bisher erreicht JRS mit seinen Hilfeleistungen etwa 8.000 Flüchtlinge in Kakuma. Bildung ist dabei eine Priorität und seitdem JRS Universitätskurse in Zusammenarbeit mit amerikanischen Jesuitenuniversitäten anbietet, können einige Somalis sogar studieren. Außerdem schult JRS aber auch psychologische Berater, unterstützt Flüchtlinge mit Behinderungen und bietet Frauen Schutz, die Opfer von sexueller und geschlechtsbedingter Gewalt geworden sind.

Hilfe in Addis Ababa
In der äthiopischen Hauptstadt Addis Ababa leben mehr als 160.000 Somalis. Noch ist die Anzahl der Neuankömmlinge nicht wesentlich angestiegen, aber JRS ist so aufgebaut, dass die Organisation in diesem Fall sofort reagieren kann.
Auch in Addis Ababa betreut der JRS Fluechtlingsfamilien
„Ich habe einen Monat gebraucht, um nach Addis zu laufen. Meine Beine waren geschwollen und ich war zu schwach, um zu reden als ich die Stadt erreichte, “ sagt Idil, eine 59-jährige Somalierin, die letzte Woche ankam. „Ich musste meine Mutter unterwegs zurücklassen, sie war zu alt, sie hat es nicht geschafft und ich musste mein eigenes Leben retten. Jetzt mach ich mir Sorgen um sie.“
Bereits seit 1996 unterstützt JRS Flüchtlinge in Addis durch Nahrungsmittel- und finanzielle Hilfe, Bildung, Freizeitaktivitäten, Sprach- und Computerunterricht, psychologische Beratung und Berufsausbildung und momentan profitieren fast 4.000 von dieser Hilfe.

Kampf gegen die Ohnmacht
„Die Anzahl somalischer Flüchtlinge in der Region ist enorm und manchmal fühlen wir uns ohnmächtig angesichts der großen Not. Aber wir müssen tun, was uns möglich ist, und wir sind überzeugt, dass wir mit der Art von Hilfe, die wir geben, das Leben der Menschen etwas lebenswerter machen können und zumindest ihre Hoffnung  auf eine bessere Zukunft  bestärken können,“ sagt Pater Pflüger.
(Angelika Mendes, JRS Ostafrika)


Wer die Arbeit des JRS für Flüchtlinge aus Somalia unterstützen möchte, kann seine Spende entweder auf das folgende Konto überweisen: Jesuitenmission
Spendenkonto 5 115 582
Liga Bank, BLZ 750 903 00
Verwendungszweck: X31113 JRS Somalia

oder auf mein Spendenkonto überweisen:

Jesuitenmission
Konto 5115582
Liga Bank BLZ 750 903 00
Verwendungszweck: "X42590 Braunigger - JRS Somalia"

Montag, 11. Juli 2011

Die Feier der Unabhängigkeit des Südsudans in Kakuma

Endlich war es soweit: Nachdem im Januar mehr als 98% der Suedsudanesen fuer einen vom Norden unabhaengigen Staat Suedsudan votierten, wurde nun am Samstag 09.07.2011 offiziell die Gruendung des 54 afrikanischen Staates vollzogen. Auch hier in Kakuma feierten die rund 20.000 Sudanesen dieses Ereignis
Die Flagge des neugegruendeten
Staates Suedsudan
ausgelassen. Selbstverstaendlich konnte ich es mir nicht nehmen lassen bei der Feierlichkeit vorbeizuschauen - zunaechst vor allem aus Neugier. Zusammen mit drei weiteren JRS Mitarbeitern fuhren wir zum ehemaligen Gerichtsgelaende der Sudanesen. Nach Entstehung des Fluechtlingslagers, als nur Sudanesen hier waren, kamen regelmaessig sudanesische Richter nach Kakuma, um Recht zu sprechen. Mittlerweile hat der kenianische Staat seine Verantwortung anerkannt und ist auch in Kakuma fuer die Justiz zustaendig und somit hat das Gelaende seinen urspruenglichen Zweck verloren.
Ausgelassene Freude bei den Feierlichkeiten zur Unabhaengigkeit des Suedsudans
Nach der Ankunft am Gerichtsgelaende wurden wir sofort gebeten auf das Podium der Ehrengaeste zu kommen. Dies auszuschlagen war natuerlich nicht moeglich. Fuer mich etwas ueberraschend war, dass kein Vertreter einer anderen Organisation anwesend war.  Nicht einmal der UNHCR noch die groesste Organisation vor Ort (LWF - Lutheran World Federation)  kamen zu diesem Fest. Meines Erachtens ist dies ein absolutes Armutszeugnis. Schliesslich kam, was ich schon erahnte. Die Gaeste vom JRS wurden eingeladen eine Ansprache zu halten, und zwar solle Bruder Christian doch ans Mikrophon kommen. Ueberrascht war ich, dass man mich hier mit Bruder Christian ankuendigte. Insgesamt dachte ich, dass man mich im Camp nicht so sehr mit Namen kennt, aber seit ich vor zwei Wochen begann in die Schulen zu gehen und dort als Bruder Christian vorgestellt wurde, bin ich nun unter diesem Namen bekannt.
U.a. sprach ich dann ueber das Motto des Jesuitenfluechtlingsdienstes - to serve, to accompany and to advocate, und zwar dass fuer uns accompany, also die Begleitung der Fluechtlinge, bedeute mit ihnen Leid zu teilen und ihnen beizustehen, jedoch auch die Freude mit ihnen zu teilen und sich mit den Suedsudanesen zu freuen, dass die Unabhaengigkeit nun erreicht sei. Weiterhin forderte ich auch zur Versoehnung zwischen Nord- und Suedsudan auf, und zwar einander zu vergeben und schliesslich friedlich Seite an Seite zu leben.
Erst waehrend meiner kurzen Ansprache fiel mir auf, wie wichtig es war, dass ich kurz bei den Feierlichkeiten vorbeischaute. Die Suedsudanesen waren gluecklich, dass wir an ihrer Freude teilhaben und uns ihr Schicksal nicht kalt laesst.
Es bleibt nur zu hoffen und zu beten, dass eine friedliche Koexistenz der beiden sudanesischen Staaten meoglich ist und die noch ungeklaerten Grenzfragen diplomatisch geloest werden.

Die anschliessenden Videos geben einige Impressionen zu den Feierlichkeiten in Kakuma:


P.S.: Im Internet ist der Film "God grew tired of us" zu finden, so z.B. bei Youtube. Der Film besteht aus 6 Teilen je ca. 15 Minuten (also insgesamt 90 Minuten).  Es ist eine Dokumentation ueber die Lost Boys of Sudan, Kinder im Alter zwischen 3 Jahren und 14 Jahren, die Ende der 80er Jahre ohne Eltern aus dem Suedsudan flohen und nach einigen Jahren schliesslich 1992 in Kakuma ankamen. Zu Beginn des letzten Jahrzehnts luden die USA einige tausend Lost Boys ein in den USA zu leben. Der Film berichtet ueber die Flucht, das Leben in Kakuma und schliesslich die Erfahrungen der jungen Sudanesen in den USA. Einfach zu Youtube gehen und dort nach "God grew tired of us" suchen - die Dokumentation ist sehr sehenswert.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Weinen fuehrt zum Erfolg - oder - Das Auswahlverfahren fuer das Studium

Vor einigen Wochen begann das Auswahlverfahren für den nächsten Jahrgang des Fernstudiums (weitere Informationen hierzu hier). Das Auswahlverfahren läuft folgendermassen ab:
  1. In einer Ausschreibung werden alle Interessenten, die die Zulassungskriterien erfüllen, eingeladen sich schriftlich zu bewerben. Als Unterlagen sind notwendig: ein Bewerbungsschreiben, Secondary school Zeugnisse (entspricht dem Zeugnis einer weiterführenden Schule), Nachweis ausreichender Englischkenntnisse, ein Empfehlungsschreiben entweder eines Community Leaders, einer Kirche, Organisation etc.
  2. Im Anschluss an die schriftliche Bewerbung werden ca. 100 Kandidaten zu einem schriftlichen Test eingeladen und von denen dann
  3. rund 55 für ein Vorstellungsgespräch eingeladen.
Am Ende werden dann 35 Bewerber für das Studium zugelassen.

In die Ausarbeitung der Ausschreibung wurde ich nicht einbezogen und in die Auswahl der Kandidaten für den schriftlichen Test nur ein wenig. Da diejenigen, die für das gesamte Auswahlverfahren unerwarteterweise nicht vor Ort waren, durfte ich dann den schriftlichen Test organisieren. Eigentlich kein Problem, wären da nicht die vielen Beschwerden von Bewerbern gewesen, die es kaum fassen konnten, dass sie nicht für den schriftlichen Test berücksichtigt wurden. Ich durfte letztlich ausbaden, was andere zuvor geplant hatten. Die Bewerbungs- 
Bewerber registrieren sich fuer den schriftlichen Test und warten gespannt
auf den Beginn. Fuer Fluechtlinge ist das Fernstudienprogramm eines der
wenigen Moeglichkeiten fuer Bildung nach Beendigung der Schulzeit.
kriterien wurden m.E. viel zu hoch angesetzt; ich hätte bei einer Flucht jedenfalls nicht als erstes mein Abiturzeugnis eingepackt und ein Nachweis von Englischkenntnissen gestaltet sich schwierig -es gibt nur wenige Sprachkurse im Lager. Und was ist mit denjenigen, die auf eigene Faust Englisch lernten? Welchen  Nachweis sollen sie erbringen? Die schließlich getroffene Auswahl für den Test empfand ich als teilweise willkürlich. Die ersten Beschwerden versuchte ich freundlich aber bestimmt abzulehnen, da die Auswahl ja getroffen sei. Schließlich meinte der Chef von JRS vor Ort, er würde mir voll Vertrauen. Die Kriterien seien sicherlich zu hoch gesteckt gewesen. Wenn sich jemand beschwere, so könne ich die Unterlagen nochmals durchgehen und entscheiden, ob eine Zulassung zum Test erfolgen soll. So durfte ich mich dann drei Tage lang mit Beschwerden auseinandersetzen bzw. Flüchtlingen, die verschiedene Gründe vorbrachten, weshalb sie sich zu spät beworben hatten. Was sollte ich nun machen? Wenn ich jedem sage, dass er doch zum Test kommen kann, so spricht sich dies herum und alle beschweren sich - getreu dem Motto: Wer sich nicht beschwert, ist selbst Schuld! Und wenn jemand sich zu spät bewirbt? Irgendwo muss eine Grenze gesetzt sein.

Eine der ersten Beschwerden wurde von einer Frau vorgebracht, die eine Bewerbung für ihren Sohn eingereicht hatte, der sich im Bewerbungszeitraum in Nairobi aufhielt. Leider lag der Bewerbung  kein Motivationsschreiben, kein Empfehlungsschreiben und kein Nachweis der Englischkenntnisse vor. Die Frau flehte mich an, dass ich doch ihren Sohn berücksichtigen soll. Als ich meinte, dass aber nicht die erforderlichen Unterlagen vorhanden gewesen seien und er nicht berücksichtigt werden könne, begann sie zu weinen. Ich meinte daraufhin, dass sich der Sohn nächstes Jahr wieder bewerben könne. Doch sie ließ sich nicht beruhigen. Schließlich meinte ich, dass der Sohn eben zum Test vorbeikommen solle.  An diesem Tag erinnerte ich mich an eine Erzählung aus der Autobiographie des hl. Augustinus. Dort heisst es:
"Als sie (Augustinus Mutter) sich trotz dieser Worte noch nicht beruhigen wollte, sondern mit Bitten und unter einem Strom von Tränen heftiger in ihn drang, er solle doch mich (Augustinus) sehen und mit mir sprechen, da sagte jener, beinahe schon unwillig: "Gehe von mir, denn so wahr du lebst, es ist unmöglich, dass ein Sohn solcher Tränen untergehe." (Confessiones des Augustinus, Drittes Buch Kapitel 12)
Von diesem Moment an erteilte ich jedem, der sich beschwerte die Erlaubnis am schriftlichen Test teilzunehmen - selbst einem, der sich noch gar nicht beworben hatte und erst einige Stunden im Anschluss an den Test die Bewerbung einreichte. In diesen Tagen fragte ich mich häufig, ob ich richtig handle.  Am Tag der schriftlichen Bewerbung hatte ich jedoch Gewissheit. Von denjenigen, die sich beschwert hatten, kamen alle zum Test - von den anderen rund 100 Kandidaten jedoch in etwa 20 nicht. Wer eine Beschwerde einreichte, war also wirklich motiviert! Und wie sich später herausstellte, schnitten viele von ihnen auch extrem gut ab.

Im Test galt es dann eine Stellungnahme zu einer Rede Nyeres zu verfassen. Nyere war der erste Praesident Tansanias und sehr angesehen. Er wird von vielen Menschen verehrt und galt als sehr fromm. Nyere sagte:
"Diejenigen, die dieses Privileg erhalten, haben daher die Pflicht, die Opfer, die andere aufgebracht haben, zurückzuzahlen. Sie sind wie ein Mann, der alle Nahrungsmittel eines verhungernden Dorfes zur Verfügung gestellt bekommt, damit er stark genug ist, um die Chance zu erhalten Lebensmittel von einem entfernten Ort ins Dorf zu bringen. Wenn er die Nahrung nimmt und seinen Brüdern nicht hilft, so ist er ein Verräter. Ähnlich ist es mit jungen Männern und Frauen, die von unserem Volk eine Ausbildung ermöglicht bekommen und eine Überheblichkeit entwickeln oder es unterlassen ihr Wissen zur Entwicklung ihres Landes zur Verfügung zu stellen; dann verraten sie unsere Gemeinschaft." (Nyere, J.K. – Rede im Parlament in Dar es Salaam am 12. Mai 1964)
Ob die Studenten dies für ihr Leben übernehmen? Es ist zu hoffen - und dem Kontinent  Afrika zu wünschen, denn viele hier in Politik, Wirtschaft und Verwaltung sind leider reinste Gauner.

Samstag, 28. Mai 2011

Lake Turkana - ein See in der Wueste

Einige Arbeitskollegen am See unter Palmen
Vor einigen Wochen ergab sich die Moeglichkeit einen Ausflug an den Lake Turkana zu unternehmen. Am Wochenede ist dies normalerweise nicht moeglich, da wir samstags generell bis 13 Uhr arbeiten. In Kenia gilt allerdings eine interessante Feiertagsregelung: Faellt ein gesetzlicher Feiertag auf einen Sonntag, so ist dafuer der Montag arbeitsfrei. Da dies der Fall war, brach ich am Samstagnachmittag zusammen mit einigen Arbeitskollegen auf, um an den etwa 180 Kilometer entfernten See zu fahren. Der See liegt inmitten einer Wueste, die es zu durchqueren gilt. Neben vielen Steinen und Sand gibt es auch relativ viele Straeucher und Baeume, die sehr wenig Wasser benoetigen. Jaehrlich regnet es an nur 3 oder 4 Tagen, so dass sich mir eine Frage aufdraengte. Ein Baum benoetigt fuer sein Wachstum ordentlich Wasser, wenn es nur sehr wenig regnet, so dauert es schliesslich ewig bis der Baum einige Meter hoch ist. Wie alt sind also wohl die Baeume?
Baeume und Straeucher in der Wueste. Die Bewohner der Gegend leben
aeusserst aermlich und finden es nur begrenzt amuesant, wenn man sie
fotografiert. Ein Doppelklick auf das Foto vergroessert es und die Geste
des Einheimischen  spricht Baende.

Die Flaeche des Sees betraegt etwa das 10-fache des Bodensees, weltweit sind nur 23 Seen groesser und er ist weltweit der groesste Wuestensee. In dieser Region leben die Menschen noch aermlicher als in Kakuma.  Auf dem Weg an den See hielten wir kurz an, um Feuerholz zu sammeln. Nach einiger Zeit erschienen aus dem Nichts einige Menschen, die schliesslich Trinkwasser erbettelten (siehe Foto oben) .  Die Infrastruktur ist auch am See miserabel - die Verkehrsanbindung an andere Teile des Landes ist aeusserst schlecht, so dass wenige Touristen kommen, Fische aus dem See nicht in andere Landesteile transportiert werden und Industrie und Handel gibt es hier ohnehin nicht. Am Campingplatz versuchten einzelne Kinder und Jugendliche handgefertigte Koerbe, Halsketten aus Fischknochen, u.ae. fuer 50 - 300 Schilling (etwa 0,5 - 3 Euro) zu verkaufen. Einzig mit Ziegen- u. Kamelzucht und ein wenig Fischerei halten sich Menschen ueber Wasser. Mir kamen spontan zwei Begriffe in den Sinn: Buschmensch und Eingeborener.
Eine Kamelherde am Strand. Kamele sind fuer mich einerseits exotisch -
andererseits gehoeren sie fuer mich hier in Turkana nahezu zum Alltag.
Der See ist wunderbar - das Wasser ist warm, der Sandstrand weiss, Sandduenen mit Palmen schliessen sich an den Strand an und auf der gegenueberliegenden Seite des Sees ragen grosse Felsen aus Vulkangestein empor. Meist herrscht ein leichter angenehmer Wind und eine wohltuende Ruhe. Ich finde den Ort faszinierend, vor allem auch, weil dies inmitten einer Wueste ist. Es ist nahezu das Paradies - einzig die extreme Hitze noetigt dazu sich zwischen 10 Uhr und 17 Uhr dauernd im Schatten aufzuhalten (entweder in einer Huette oder unter grossen Palmen). Das das Wasser alkalisch ist, gibt es die sonst oftmals in Seen vorhandenen Bakterien nicht und es laesst sich bedenkenlos darin baden (zumindest nach Auskunft meines Reisefuehrers).
Panoramabild bei beginnendem Sonnenuntergang. Durch Doppelklick auf das Foto erfolgt eine Vergroesserung.
Vor etwa 10.000 Jahren war der Wasserpegel des Sees hoeher, so dass Wasser in den Nil floss und Fische und Krokodile in den Lake Turkana wanderten. Daher gibt es heute im See einen grossen Fischbestand und auf einer grossen Insel innerhalb des Sees gibt es daher rund 15.000 Nilkrokodile. Leider hatten wir keine Moeglichkeit auf diese Insel zu fahren - aber dies kann ja noch kommen. So ein kleines, suesses Krokodil koennte ich ja als Souvenir nach Deutschland mitnehmen.