Montag, 21. November 2011

Von Bedrängnis und Toleranz
oder
Die Beziehungen zwischen den Gläubigen verschiedener Religionen und Konfessionen

Seit August treffe ich mich sonntags mit einer Gruppe, die sich mehrheitlich aus jungen Kongolesen zusammensetzt. Beim ersten Treffen berichteten sie, dass sie häufig von Christen anderer Kirchen bzw. Muslimen aggressiv mit verschiedenen Behauptungen konfrontiert werden, um sie in Bedrängnis zu bringen und zu überzeugen, dass wir Katholiken bzw. wir Christen einem Irrglauben aufsitzen. Wie die Kongolesen berichteten, führt dies bei ihnen zu Unsicherheiten, Spannungen und Abwehrreaktionen. Auch dies gehört zur Realität des Flüchtlingslagers Kakuma. Bei solchen Berichten ärgere ich mich über die Intoleranz und mangelnden Respekt zwischen den Flüchtlingen und ich frage mich spontan: "Ist es richtig, dass die Dienste des JRS allen Flüchtlingen offen stehen?", schließlich sind wir eine katholische Organisation. Und immer wieder komme ich dann zum Schluss:
  1. Nur eine Minderheit greift verbal die Gläubigen anderer Religionen und Konfessionen an - die große Mehrheit toleriert und respektiert den Glauben der anderen. 
  2. Ich  bin davon überzeugt, dass die Offenheit unsere Dienste allen Flüchtlingen unabhängig von Religion und Konfession bereit zu stellen, oftmals als ein positives Signal wahrgenommen wird. Dadurch wird die Menschenwürde eines jeden anerkannt, die Brüderlichkeit zwischen den Religionen und Nationen betont und Spannungen werden abgebaut.
Nach einigen Diskussionen mit den Kongolesen, beschlossen wir jeden Sonntag ein religiöses Thema aufzugreifen, und zwar um 1. einen eigenen klaren Standpunkt zu entwickeln und 2. den Standpunkt der anderen zu verstehen und ernst zu nehmen. Diese beiden Punkte sind essentiell, um in einen Dialog mit  anderen Konfessionen und Religionen eintreten zu können.
Am Ende der Treffen besteht die Möglichkeit bei Tee und
Keksen noch ein wenig zu plaudern.
Meist wissen die jungen Kongolesen nur wenig  vom Islam. Ebenso gibt es viele Lücken was den eigenen Glauben betrifft. Entsprechend überrascht sind sie, dass der Koran viele unserer Anliegen teilt, viele Personen des Alten Testaments auch Teil des Korans sind, Jesus von Muslimen als Prophet angesehen wird und sogar Maria als Prophetin verehrt wird und die Jungfrauengeburt Jesu ein selbstverständlicher Teil des Korans ist.

Allmählich gelingt es mir den jungen Kongolesen das Anliegen des 2. vatikanischen Konzils nahezubringen, dass „die katholische Kirche nichts von alledem ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (Nostra Aetate 2). Wichtig ist mir hierbei den eigenen Standpunkt nicht zu vernachlässigen und zu betonen, dass für uns Katholiken die Kirche „unablässig Christus verkündigt, der "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6) ist, in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden und in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“ (Nostra Aetate 2).

Vielleicht gelingt es in der Zukunft auch Muslime oder Christen
anderer Kirchen einzuladen und gemeinsam Tee zu trinken.
Wenn die jungen Kongolesen ihre Unsicherheiten abgebaut haben, wäre es schön in der Zukunft auch Muslime oder andere Christen zum Treffen einzuladen und wer weiß, vielleicht entsteht daraus ja auch ein Dialog.

Mein Eindruck ist, dass sich zwei wichtige Resultate einstellen, erstens eine Vertiefung des eigenen Glaubens und damit verbunden weniger Verunsicherungen bei kritischen Äußerungen anderer und zweitens eine wachsende Toleranz gegenüber anders Glaubenden, so dass die Aufforderung zur universalen Brüderlichkeit im Dokument Nostra Aetate des 2. vatikanischen Konzils ein wenig lebendiger wird. Dort heißt es: „Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, daß die Schrift sagt: "Wer nicht liebt, kennt Gott nicht" (1 Joh 4,8)" (Nostra Aetate 5).