Montag, 26. Dezember 2011

Das wahre Weihnachten in Kakuma?
oder
Gedanken von Flüchtlingen zu Weihnachten

Der Advent verlief in Kakuma äußerst unspektakulär. Es gab äußerlich kaum Anzeichen dafür, dass das Weihnachtsfest naht.
  • Werbung und Anreize für mehr Konsum? Fehlanzeige - die Menschen hier sind viel zu arm, dass Firmen speziell auf diese Klientel setzen könnten. 
  • Einkaufstrubel oder Weihnachtsmärkte? Fehlanzeige - mangels Geld und Einkkaufsmöglichkeiten.
  • Advents- und Weihnachtsdekoration im Camp, in Kakuma Town oder im NGO Bereich? Fehlanzeige.
  • Kaltes Wetter oder gar Schnee? Fehlanzeige schließlich hat es zwischen 35 und 40 Grad Celsius.
Lediglich die Tagestexte der Gottesdienste deuteten daraufhin, dass bald die Menschwerdung Gottes gefeiert wird - sie sprachen von Umkehr und der Ankunft des Heilands. Und wie ist es nun an Weihnachten? Die Kapelle ist sehr karg und schmucklos.
Im Weihnachtsgottesdienst wurden
14 Jugendliche getauft.
Für mich ist dies alles sehr ungewohnt - aber entspricht dies nicht dem historischen Advent und Weihnachtsfest? Feiern wir hier in Kakuma nicht einen wahren Advent und ein wahres Weihnachtsfest? Wurde vor 2000 Jahren groß die Geburt Christi angekündigt? Wurden die Häuser und Tempel festlich für dieses Ereignis geschmückt? Nein. Die Geburt Christi vollzog sich in einfachen Verhältnissen wie hier auch - in einem Stall wurde Christus geboren und zwar als Kind armer, einfacher Eltern; nicht in einem Palast und als Kind reicher, mächtiger oder besonders priviligierter Eltern.

Weihnachten als das Fest der Familie und der Liebe sowie der Geburt des Erlösers, welcher in die Welt gekommen ist, um die Welt zu versöhnen. Müssen solche Attribute auf Flüchtlinge nicht befremdlich wirken? Was kann Weihnachten für einen Flüchtling bedeuten, der von seiner  Familie getrennt ist oder sie verloren hat? Was kann Weihnachten für einen Flüchtling bedeuten, der im Exil ist, weil er in seiner Heimat Schwierigkeiten erfahren hat, weil er um sein Leben und das Leben seiner Familie gefürchtet hat, weil er verfolgt wurde. Wirkt da Weihnachten nicht vielleicht sogar wie eine Farce? Diese Fragen brannten mir geradezu auf den Nägeln, so dass ich zwei Flüchtlinge fragte, was für sie Weihnachten bedeutet.

Zusammen mit meinen beiden Mitbruedern Gary Smith und
Luis Amaral und der Praktikantin Liz bei der Feier zu Hause
an Heiligabend nach dem Gottesdienst.
Deogratias antwortete auf meine Frage: "Das Leben ist wahrhaftig manchmal schwer - manchmal  extrem unerträglich und es kommt mir vor wie die Hölle. Doch habe ich nicht bereits einen Teil der Verheißung Gottes - seines Heiles erfahren dürfen. Für mich ist es nicht selbstverständlich, dass ich bis hier nach Kakuma gekommen bin und nun in Sicherheit bin, dass sich Menschen um mich Sorgen, mir lebensnotwendige Dinge und Dienste angeboten werden, dass ich mit Freunden Höhen und Tiefen durchgehen kann. Gott kennt meine Situation, er selbst war ein Flüchtling und musste mit seinen Eltern nach Ägypten fliehen. An Weihnachten fühle ich mich von Gott gestärkt, er schenkt mir einen Funken Hoffnung und ermutigt mich. Und eines Tages hoffe ich das vollkommene Heil zu erhalten."

Unabhängig von Deogratis erzählt mir Martin ähnliches (von ihm habe ich bereits an anderer Stelle seine Lebensgeschichte geschildert - siehe hier). Er sagt: "Weihnachten ist eine Zeit des Feierns und des Kraftschöpfens. Gott hat mich in die Sicherheit geführt und erhält mich - sowohl durch die Hilfe von Organisationen, Bekannte und Freunde und durch das Gebet, so dass ich jedes Jahr Weihnachten feiern kann. Weihnachten ist die Verheißung, dass der Heiland auf die Erde kommt, aber es heißt nicht, dass mit seiner Ankunft bereits  die Erlösung vollendet ist. Weihnachten ist nur der Anfang, wichtiger ist für mich Karfreitag und Ostersonntag. Durch den Tod und die Auferstehung Christi haben wir die Zuversicht, dass Gott uns in unserem Leid begleitet und wir durch die Auferstehung bereits jetzt und am Ende unserer Tage die Erlösung erfahren dürfen."


Bei diesen Aussagen spüre ich immer wieder, dass dies nicht irgendwelche auswendig gelernte Phrasen sind, sondern mir persönliche Überzeugungen mitgeteilt wurden. Zwei Tage vor Weihnachten lese ich folgenden Text, in welchem ich meine Eindrücke und Gedanken wieder finde.
"Weihnachten ist eine Zeit der Freude aus gutem Grund: Es ist die Nachricht von einem Retter, der geboren ist und Licht in die Dunkelheit bringen will. Es ist die Nachricht von Gottes Frieden. Aber die Freude ist mehr als nur Heiterkeit. Für diejenigen, die nur eine gute Zeit in Gemeinschaft verbringen wollen, bringt Weihnachten nur wenig mehr als ein vorübergehendes Wohlgefühl. Danach geht das Leben weiter wie zuvor. Aber für diejenigen, die eine erdrückende Situation erleben und voll von Verzweiflung  sind, keinen wirklichen Sinn und keine Hoffnung verspüren entweder für sich selbst oder für die Welt - für diejenigen, die spüren, dass die Dinge schrecklich falsch ablaufen, für all diejenigen kann Weihnachten wirklich das Leben verändern."* 
Am Nachmittag des Weihnachtstages besuchte ich zusammen
mit Liz die Sicherheitsleute unseres Education Centers und
tranken gemeinsam eine Limo.

Ich wünsche allen eine gesegnete Weihnachtszeit und ein gutes Jahr 2012. 

An dieser Stelle möchte ich auch allen danken, die die Flüchtlinge im vergangenen Jahr durch Gebet und/oder Spenden unterstützt haben und auf diese Weise dazu beigetragen haben Hoffnung zu wecken.

*(aus: When the time was fulfilled. Plough publishing house. Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlages)

Dienstag, 13. Dezember 2011

Kontraste
oder
Von Scham, Chancenungleichheit und Ungewissheit

Als der Jesuit Hl. Franz Xaver 1542 mit dem Schiff von Portugal
nach Indien fuhr, ging er in Malindi für einige Tage an Land. Ich
bin hier mit drei Mitbrüdern in der Kapelle, in welcher er damals
die Eucharistie feierte.
Vor einigen Wochen nutzte ich die Chance für zwei Wochen Urlaub zu machen und ein wenig Tansania und die Küste Kenias zu besichtigen. Nach einem Zwischenstopp in Nairobi fuhr ich ins Noviziat nach Arusha und besuchte in Dar-Es-Salaam die Jesuitenschule und meinen deutschen Mitbruder P. Vitus Sedlmair. Im Anschluss schipperte ich mit der Fähre nach Sansibar und zurück und fuhr dann mit dem Bus nach Mombasa und Malindi in Kenia. Eine etwas größere Reise, aber insgesamt weder besonders teuer noch außergewöhnlich, oder? Nein, ganz stimmt dies nicht. Es kommt nämlich auf die Perspektive an. 
Einige Tage bevor ich Kakuma verließ und es den Flüchtlingen erzählte, die mit dem JRS arbeiten, schämte ich mich ordentlich dafür. Am liebsten hätte ich gar nicht davon erzählt und mich heimlich davon geschlichen. Doch warum? Flüchtlingen ist es nicht gestattet einfach einmal Kakuma zu verlassen. Dafür benötigen sie eine Reisegenehmigung vom UNHCR. Diese ist erhältlich, wenn ein Arzt in Nairobi aufgesucht werden muss oder ausnahmsweise für den Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landesteil. (Etliche Flüchtlinge fahren auch ohne gültige Papiere nach Nairobi und hoffen nicht von der Polizei kontrolliert zu werden - anscheinend kann dies jedoch mit ein wenig Geld geregelt werden). Gar in ein anderes Land zu reisen, ist für Flüchtlinge aber vollkommen unmöglich. Und auch durchschnittlich 20 Euro pro Tag für Bus, Übernachtung und Verpflegung aufzubringen, ist für viele Flüchtlinge nahezu unmöglich. Entsprechend erstaunlich empfand ich die erhaltenen guten Wünsche für meine Fahrt. Ich konnte keinen Neid wahrnehmen. Und als ich wieder nach Kakuma zurückkehrte, wurde ich mit großer Freude empfangen. Ich fühlte mich so beschämt!
Badende Kinder in Stonetown auf Sansibar
Während meiner Reise stach mir ins Auge, wie groß doch die Unterschiede zwischen den Lebens- und Ausgangsbedingungen für Kinder sein können. Auf Sansibar und an der kenianischen Küste waren Kinder ordentlich angezogen, badeten im Meer, freuten sich des Lebens... Touristen lassen ordentlich Geld da - wovon auch Kinder profitieren. Als ich dann in Lodwar ankam, der Provinzhauptstadt zu welcher auch Kakuma gehört, kamen mir immer wieder Kinder in zerrissenen, schmutzigen Kleidern entgegen und bettelten. Von Freude war nicht das geringste zu spüren. In Kakuma geht es sowohl Kindern der Gastgemeinde als auch Flüchtlingskindern besser - die Präsenz der Organisationen hat materiell einen positiven Effekt - aber die Lage ist für Kinder hier trotzdem schwierig. Welch einen Unterschied es macht, ob man an der Küste Kenias oder in der Halbwüste Turkanas geboren ist (ganz zu schweigen von dem extremen Unterschied, ob jemand in der Halbwüste Turkanas oder in Deutschland geboren ist).
Noch ein weiterer Aspekt bereitete mir in den letzten Wochen Gedanken. Viele Erwachsene Flüchtlinge begannen ein Studium in ihrer Heimat und mussten die Heimat verlassen, ohne es beenden zu können. Jetzt sind sie hier in Kakuma und wissen nicht, was die Zukunft bringt. Ein junger Kongolese erzählte, dass er im dritten Studienjahr Biochemie war, als er nach Kenia floh. Das Studium zu beenden ist hier unmöglich und was bringt die Zukunft? Wird er wieder in die Heimat können? Wahrscheinlich nicht! Falls er von den USA, Kanada oder Australien aufgenommen wird, was kann er dann dort arbeiten? Er hat keine abgeschlossene Ausbildung! Ihn quält die Ungewissheit, was er eines Tages einmal machen wird. Und wie lange bleibt er hier in Kakuma? Wer weiß dies schon. So geht es vielen. Ein Äthiopier meinte, dass die Ungewissheit, wie lange er noch in Kakuma ist, für ihn das schlimmste sei. Als Strafgefangener im Gefängnis sei wenigstens klar wann man wieder frei sei. Er ist bereits 18 Jahre hier - aber wie lange wird er noch hier sein?
Auch bei diesen Berichten muss ich immer wieder schlucken. Was kann ich schon auf solche Geschichten antworten - ich hatte gute Studienmöglichkeiten und ich weiß, dass ich nach insgesamt knapp zwei Jahren wieder in Deutschland sein werde.
Der Strand auf Sansibar - klares Wasser und weißer Sand
Als ich während meines Urlaubs abends am Strand saß und über diese Dinge nachdachte, so konnte ich Gott nur für die empfangenen Wohltaten danken und für die Menschen bitten, die nicht die entsprechenden Chancen haben und mit ihrem Schicksal leben müssen.