Montag, 12. September 2011

Lebensgeschichten - oder - Warum ist dieser Mensch hier in Kakuma?

Was ist die Lebensgeschichte dieses Flüchtlings? Weshalb ist er in Kakuma im Flüchtlingslager und nicht in der Heimat, denn schließlich ist in den Medien doch von gar keinen Konflikten in dessen Heimatland zu hören. Diese oder ähnliche Fragen stellte ich mir in den letzten Monaten immer wieder. Manchmal erahne ich die entsprechenden Gründe, oftmals tappe ich vollkommen im Dunkeln. Mit der Zeit haben einzelne Flüchtlinge Vertrauen zu mir gefunden und mir ihre Lebensgeschichte erzählt. In den kommenden Monaten werde ich regelmäßig die Lebensgeschichten einzelner wiedergeben. Die Namen und Orte sind geändert und die betroffenen Flüchtlinge haben mir ihre Zustimmung gegeben unter diesen Umständen ihre Lebensgeschichte zu veröffentlichen. 

Heute berichte ich von Martin aus dem Kongo

Martin ist Anfang 20, stammt aus dem Kongo, wirkt psychisch gesund, ist im Umgang mit anderen sehr zuvorkommend und stets freundlich. Vor rund 2 ½ Jahren hat er seine Heimat verlassen und ist über Burundi und Uganda nach Nairobi in Kenia geflohen, von wo aus er vom UNHCR ins Flüchtlingslager nach Kakuma geschickt wurde. Martin ist das dritte von fünf Kindern in seiner Familie. Seine Eltern stammen aus unterschiedlichen Stämmen und waren bereits Flüchtlinge. Aufgrund von Konflikten im Kongo mussten sie ihre jeweiligen Dörfer verlassen und flohen an einen anderen Ort einige hundert Kilometer entfernt. Im Exil lernten sie sich kennen, verliebten sich ineinander und heirateten. Noch im Exil kamen Martins beide älteren Geschwister und er zur Welt. Als Martin sechs oder sieben Jahre alt ist, beschließen seine Eltern wieder in das Heimatdorf seines Vaters zurückzukehren. Die Familienclans sind entsetzt wegen der Familiensituation, da die einzelnen Stämme von Martins Eltern verfeindet sind – die gesamte Familie wird von beiden Stämmen ausgeschlossen und gilt aufgrund der Mischehe als geächtet. Martins Familie zieht weiter und Martins beide jüngeren


Neu angekommene Flüchtlinge vor ihrem Übergangszelt.
In den  nächsten Monaten haben sie die Möglichkeit Ziegel aus
Schlamm herzustellen und von einer Organisation ein Blechdach
zur Verfügung gestellt zu bekommen.  








Geschwister kommen zur Welt. Eine Zeit der kontinuierlichen Migration beginnt: Die Familie ist häufig zu Fuß auf der Flucht, da die Familie als Schandfleck angesehen wird und beide Seiten sie am liebsten auslöschen würden. Martins Vater und seine beiden älteren Geschwister werden getötet. Schließlich beginnt sogar ein Krieg zwischen den beiden Stämmen. Falls jemand in die Hände des verfeindeten Stammes gerät, kann es passieren, dass er festgehalten, gefoltert oder getötet wird. Martin und seine Familie gehören beiden Stämmen an und wenn sie Übeltätern in die Hände geraten, gehören sie immer zu den Feinden – aufgrund der Mischehe. Als Martin eines Tages mit seiner Mutter und einem Bruder auf der Flucht ist, werden sie zusammen mit vielen anderen gefangen genommen. Sie werden alle zusammen in einem Raum festgehalten und einzelne Gefangene werden nacheinander getötet. Vor Martins Augen werden auch seiner Mutter und seinem Bruder die Kehle durchgeschnitten. Er wartet nur darauf, dass auch er an der Reihe ist – aber dann ist die Erde mit Blut getränkt und die verbliebenen Gefangenen werden in den Wald gescheucht. So kommt Martin mit seinem Leben davon. Martin beschließt aus dem Kongo zu fliehen, möchte aber zuvor noch innerhalb des Kongo versuchen seine Schulbildung zu beenden, was ihm auch gelingt. Er muss sich jedoch in dieser Zeit immer wieder im Busch verstecken. Nun hat Martin sogar die Chance am Fernstudienprogramm teilzunehmen. Er glaubt, dass sein Antrieb intensiv lernen zu wollen und nebenbei auch noch in einer NGO zu arbeiten damit zusammenhängt, dass er die Vergangenheit und die Erfahrungen hinter sich lassen und endgültig verarbeiten will. Mit Hilfe des Studiums und den hoffentlich daraus erwachsenden Möglichkeiten soll nun für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnen.

3 Kommentare:

  1. Hey Christian, sehr interessant und gute Idee. Dir alles Gute!!! Gruß aus dem Zug aus dem Ländle Richtung Wien

    D.S.

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  2. Vielen Dank für die Grüße und erneut vielen Dank für den schönen Bericht.

    Ich finde Deine Arbeit wirklich gut und erzähle überall über den Amazon-Link, in der Hoffnung, dass vielleicht ein paar EUROnen noch zusammenkommen.

    K.K.

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  3. Hallo Christian! Wir haben heute Deinen Blog gelesen, und waren schon sehr beeindruckt, bzw. auch betroffen darüber, was es doch für Gründe für Mord und Todschlag gibt. Diese Schicksale geben Deiner Arbeit schon viel Sinn. Bleib gesund.

    Viele Grüße von uns beiden
    M. u. P.

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