Dienstag, 28. Februar 2012

Business Mangement & Entrepreneurship
oder
Zwei Kulturen treffen aufeinander

Neben meiner Tätigkeit als Computerspezialist habe ich seit einiger Zeit noch einige andere Aufgaben übernommen, so unterrichte ich u.a. seit Oktober rund 20 Flüchtlinge in Business Management & Entrepreneurship. Insgesamt dauert der Kurs 22 Wochen und dauert rund 130 Stunden. Mein Kurs hat das Ziel Menschen eine Idee zu geben, was zu beachten ist, wenn jemand einen Laden, Restaurant oder ein Handwerk eröffnen will. Allerdings möchte ich nicht viele Fakten darlegen - diese sind schneller vergessen als man schauen kann. Es geht mir vielmehr darum meinen Studenten ein Gespür für wirtschaftliches Handeln zu vermitteln. Meine Zielsetzung teilte ich den Studenten in der ersten Woche mit: "Mir ist es nicht so wichtig, ob ihr in einem Jahr noch etwas von BWL wisst. Falls dies der Fall ist, wunderbar. Falls ihr wieder alles vergessen habt, man kann es in Büchern wieder nachlesen. Für mich ist es jedoch viel wichtiger, dass ihr am Ende des Kurses die Welt mit anderen Augen betrachtet, dass ihr beginnt die Welt mit ihren Möglichkeiten zu betrachten und einzelne Alternativen zu erwägen, und zu erkennen wie Dinge verwoben sind, wenn ein Faktor verändert wird, wie dies einen Einfluss auf andere Dinge hat... " Dass der Lerninhalt nicht so wichtig ist und auch wieder vergessen werden kann, war für meine Studenten sichtlich ein Schock. Das Schulsystem und wohl auch das Universitätssystem ist darauf ausgerichtet gehörte Dinge schlicht auswendig zu lernen und widerzugeben. Um mein Ziel zu erreichen, entschloss ich mich zu Beginn Mikroökonomie zu unterrichten; also wie sich Verbraucher und Unternehmen wirtschaftlich verhalten und Ressourcen und Güter durch den Markt verteilt werden, Grundkenntnisse in diesem Gebiet können auch nicht schaden, wenn jemand ein Geschäft hat.

Als ich mir das Konzept überlegte und mich entschloss, dass Studenten lernen sollen zu denken und dafür Mikroökonomie zu verwenden, war ich mir auch einer Gefahr bewusst, nämlich dass viele überfordert sein könnten. Aber gehört eine vernünftige Überforderung nicht zum Lernprozess dazu? Sollten Frustrationen nicht durchaus vorkommen dürfen, wenn sich selbstverständlich immer wieder Erfolgserlebnisse einstellen?

Und mit noch einer zweiten Aussage schockierte ich sie, und zwar erklärte ich: "Ich respektiere Euch und Eure Freiheit. Ich selbst liebe die Freiheit - und es ist jedem freigestellt zur Klasse zu kommen oder nicht. Wenn jemand etwas anderes wichtiges zu tun hat, dann ist dies kein Problem für mich. Ich selbst ging auch nicht immer in die Vorlesung. Ich erinnere mich, dass ich in manchen Vorlesungen von 20 Veranstaltungen nur zwei oder drei Mal war. Aber mit der Freiheit ist noch etwas anderes verbunden, und zwar Verantwortung, die Verantwortung den Stoff ggf. irgendwie nachzuholen und die Tests zu bestehen. Wenn ich nicht in Vorlesungen ging, so musste ich mir überlegen, wie ich den Stoff nachhole und dann das Examen ordentlich bestehe." So viel Eigenverantwortung zugestanden zu bekommen ist in dieser Kultur für viele ein Novum, und irgendwann fragte ich mich, ob ich nicht meine Studenten mit meiner Einstellung überfordere. Wenn jemand im Fernstudienprogramm einige Zeit nicht auftaucht, so wird er angerufen und es wird nachgeharkt und darum gebeten die Aufgaben zu erledigen (mir erscheint dies, als ob die Studenten nicht wie Erwachsene, sondern wie Grundschüler behandelt werden). Ja, zwei Kulturen treffen aufeinander.

Um den Stoff zu vertiefen bzw. zu wiederholen äußerte ich auch die Erwartung, dass ausgeteilte Texte und Übungen alleine oder in der Gruppe bearbeitet werden, und wenn dafür eben zwei oder drei Stunden pro Woche notwendig sind, dann gehört dies eben dazu. Sollte dies zu viel erwartet sein?

Sollten sich meine Reden rächen? Hatte ich zu hohe Ansprüche, vielleicht sogar vollkommen unrealistische Erwartungen? Können die zwei aufeinandertreffenden Kulturen und Sichtweisen in Einklang gebracht werden?
Dazu demnächst mehr unter dem Titel:

2 Kommentare:

  1. Lieber Christian,

    interessanter Bericht!

    Ich denke, Du solltest in London studieren, da kannst Du noch viel lernen!

    Wenn ich mal nicht in die Vorlesung gehe, bekomme ich noch am gleichen Tag eine Mail, ob ich nicht da war oder ob der Kartenleser kaputt war oder sowas.

    Das mit dem Auswendiglernen scheint in Indien auch so zu sein - man verwendet am besten die Worte des Professors, sonst ist er sauer!

    Wenn Du hier sowas unterrichten willst, solltest Du so vorgehen:
    - nicht vorbereiten
    - die Leute vorher bitten, irgendwas zu lesen
    - dann würdest Du sowas sagen wie: "Tauscht Euch mal mit Eurem Nachbarn über Eure Erfahrungen in der Führung eines Betriebes aus." Und wenn sie das gemacht haben, dann sammelst Du die Eindrücke, die die Leute berichten...

    Naja, was solls...

    A.W.

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  2. Hi Christian,
    mit Deinen neuen Lernmethoden (nicht auswendig lernen) stellst du bestimmt vieles auf den Kopf und überforderst damit auch einige, aber ich finde es gut, wie dir die Menschen im Flüchtlingslager am Herzen liegen. Richtig, es geht nicht um die Anhäufung von Wissen, sondern um die Erlernung einer Einstellung. Schön, wie du immer mit deinem Studium vergleichst. Hatte also doch gute Seiten in Karlsruhe als Wiwi ;-) Nach wie vor lustig finde ich, dass du dich als IT-Spezialist bezeichnest, dies aber auch augenzwinkernd siehst ;-)

    Gruesse
    T.F.

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