Ayana ist 22 Jahre alt und seit 2009 in Kakuma. Geboren und aufgewachsen ist Ayana in Mogadischu. Ihre Eltern hatten 5 Töchter, von denen Ayana die älteste ist. In Mogadischu hat Ayana die Möglichkeit die Schule zu besuchen. Wer in Somalia studieren will, wird aufgrund der Schulnoten eingestuft und es wird einem ein Studienfach zugewiesen, so werden z.B. die besten Schüler u.a. zum Medizinstudium eingeteilt. Ayanas Schulabschluss ist sehr gut und sie wird dem Studienfach Rechtswissenschaften zugewiesen, wobei sie eigentlich unbedingt Wirtschaftswissenschaften studieren will. Im Jahr 2007 wird ihr Vater in Mogadischu ermordet. Er war ein Beamter der Regierung und wurde wahrscheinlich von Rebellen oder Oppositionellen ermordet, aber so genau weiß dies niemand, schließlich gibt es sehr viele bewaffnete Konflikte. Der Verlust des Vaters ist ein harter Schlag für die Familie.
Von den ca. 85.000 Flüchtlingen in Kakuma, stellen Somalis mit 45.000 die größte Gruppe dar. Sie kamen vorwiegend zw. 2005 und 2009 nach Kakuma. |
Der Nachbar wurde von Ayanas Vater stets unterstützt. Er durfte im angrenzenden Haus wohnen, ihm wurde finanziell unter die Arme gegriffen... Die Beziehung zum Nachbarn war bis zu diesem Zetpunkt stets gut. Ayana flieht mit zwei Schwestern (eine ist erst zwei Jahre alt) durch den Hinterausgang und findet Zuflucht bei ihrer Tante, dorthin kommt dann auch noch die andere Schwester. Die kleine Schwester stirbt bald darauf, weshalb ist nicht klar. Der Mann der Tante möchte Ayana nach einiger Zeit verheiraten – es ist so üblich und bringt Geld ein. Ayana soll Kinder bekommen und im Haushalt arbeiten. Der Wunsch Ayanas weiter studieren zu dürfen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, soll nicht berücksichtigt werden. In dieser Zeit erfährt Ayana irgendwann, dass der Nachbar den Teil des Hauses von Ayanas Familie eingenommen hat und „besitzt“ nun das ganze Haus, in welchem er zuvor nur wohnen durfte.
Ayana will nicht in Somalia bleiben. Irgendeinen Mann heiraten, zu Hause sitzen, kochen, waschen und nicht studieren dürfen... Das schreckt sie ab. Und dann kommt noch die Unsicherheit hinzu – die vielen Konflikte und immer wieder werden Menschen ermordet. Ayana beschließt mit ihren Schwestern zu fliehen. Zu Fuss gehen sie von Mogadischu nach Kenia. Auf dem Weg stirbt eine der beiden Schwestern, welche sie zurücklassen müssen. An der kenianisch-somalischen Grenze wartet ein Freund des Vaters und hilft ihnen. Mit diesem Freund kommt sie 2009 nach Kakuma, die damals 17-jährige Schwester lebt in Nairobi und geht bis heute zur Schule.
Ich frage Ayana, ob sie nicht zur Organisation gehen will, die solche Fälle registriert und sie in einen Sicherheitsbereich bringen könnte. Aber dies will sie nicht. Ayana hat eine Tätigkeit beim UNHCR als Übersetzerin, und diese Tätigkeit könnte sie dann nicht mehr ausüben. Sie verdient vielleicht 60 oder 70 Euro im Monat, mit denen sie ihre Schwester in Nairobi unterstützen kann. Am liebsten würde Ayana weggehen, aber ihre Schwester ist ja noch da, für die sie sich verantwortlich fühlt und die sie unterstützen will. Ayana will nicht aufgeben.
Ayana ist eine meiner Studentinnen im Business Management Kurs (siehe: Business Management & Entrepreneurship - Zwei Kulturen treffen aufeinander und Die Leiden des Lehrers). Auch Ayana kommt immer wieder in den Unterricht ohne Übungen oder Wiederholung gemacht zu haben. Sie kommt zu spät und schaut mich häufig mit großen, fragenden Augen an, die mir sagen, dass sie wenig verstanden hat. Aber ist dies bei ihrer Lebensgeschichte und ihren Lebensumständen nicht logisch? Wenn ich mir ihre Lebensgeschichte und Lebensumstände vor Augen halte, habe ich bereits großen Respekt, dass Ayana überhaupt am Kurs teilnimmt - und meine "westlichen" Vorstellungen des Studiums sind nun hoffentlich relativiert. Wer weiß womit die anderen zu kämpfen haben, die scheinbar (!) nicht so fleißig sind.
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