Dienstag, 29. Mai 2012

Die Hoffnung stirbt zuletzt
- oder -
Manchmal ist die Welt kompliziert!

"They have taken my home,
but they can't take my future!"

(Spruch auf dem T-Shirt eines Flüchtlings)

Vor einigen Wochen saß ich morgens im Gottesdienst und las auf dem T-Shirt eines Flüchtlings den Spruch: "They have taken my home, but they can't take my future". Diese Aussage bringt sehr schön meine persönlichen Eindrücke ins Wort. Vor etwa zwei Jahren, als ich mich auf die Arbeit in einem Flüchtlingslager  einstellte, ging mir vieles durch den Kopf. Ich stellte mir Situationen vor, mit denen ich konfrontiert werden könnte und ich stellte mir oft  Fragen wie z.B.: Wie werden Flüchtlinge ihre Situation beurteilen?  Wie gehen Menschen mit dem Verlust von Verwandten und Freunden und ihren Habseligkeiten um? Prägen Traumatisierung und Verzweiflung den Geist eines Flüchtlingslagers?
Traumatisierung, Verzweiflung und Not sind in Kakuma vorhanden. Vom Verlust von Verwandten und der eigenen Habseligkeiten sind viele betroffen und es sind schwere Schicksalsschläge vorhanden.  Die Infrastruktur im Camp ist mangelhaft (Wasserrationierung auf 20 Liter pro Person und Tag, unzureichende Schulkapazitäten, rudimentäre Gesundheitsversorgung, etc.) und die Ungewissheit über die Zukunft prägt viele. Die Heimat ist genommen und die Konsequenzen sind spürbar. Doch dies überschattet nicht alles: Bei unheimlich vielen spüre ich Lebensmut und Hoffnung - jede Gelegenheit um weiter zu kommen wird beim Schopfe gepackt. Die Zukunft wollen sich die Flüchtlinge nicht nehmen lassen. Die Stimmung ist von Hoffnung geprägt - von der Hoffnung zu lernen und als anderer Mensch das Camp zu verlassen; vom Wunsch etwas zu erreichen, von der Sehnsucht in die Heimat zurückkehren zu können oder von einem westlichen Land aufgenommen zu werden. Diese Stimmung durfte ich häufig wahrnehmen: Sei es in Gesprächen mit Jugendlichen und Erwachsenen in den Kirchen, mit Flüchtlingen, die für den JRS arbeiten, bei Studenten des Fernstudienprogramms oder bei meinen Studenten in "Business Management & Entrepreneurship". Die Heimat ist genommen, doch die Zukunft will man sich nicht nehmen lassen. Diese Einstellung fasziniert mich immer wieder.

Die Überreichung eines Geschenkes der Studenten
Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft war bei meinen Studenten im Business Management Kurs der Hauptantrieb. Es wurden viele verschiedene Dinge gelernt - und ich bin schon zufrieden, wenn ich ein wenig von meinen drei Anliegen vermitteln konnte. Diese waren:
  1. Wenn ein Parameter verändert wird, kann dies große Konsequenzen haben. Viele ökonomische Situationen sollten dies verdeutlichen. Diese Sensibilisierung hilft hoffentlich auch im Alltag, denn schließlich ist das Leben von Veränderungen geprägt und es ist gut bereits im Vorfeld die Konsequenzen zu bedenken.
  2. Ich stellte fest, wie meine Studenten zu Beginn des Kurses vorschnell eine Situation als positiv oder negativ bewerteten, ohne jedoch Alternativen zu bedenken. Ein Projekt mag gut sein, allerdings kann es immer noch bessere geben. Oder ein Projekt mag schlecht sein, aber kurzfristig ist dieses Projekt u.U. trotzdem noch die beste Lösung. Hoffentlich werden allgemein Lebenssituationen zukünftig ein wenig mehr mit möglichen Alternativen verglichen. In vielen alltäglichen Dingen kann dies von Nutzen sein - und nicht jedes Angebot und jede Politik sind ohne Alternativen. 
  3. Zu Beginn hatten viele meiner Studenten Angst vor Unbekanntem, vor Graphen und ein wenig Mathematik. Aber mit der Zeit erfuhren sie, dass mit Lernen diese Dinge verstanden werden können. Im Verlauf des Kurses hatten Studenten bei neuen Dingen immer wieder Respekt, aber Ängste wurden immer geringer, da Fortschritte verzeichnet wurden und Selbstvertrauen wuchs.
Der Business Management Kurs ist mittlerweile zu Ende gegangen - und selbstverständlich musste dies mit einer Abschlussfeier gewürdigt werden. Als ich im Vorfeld einmal nebenbei erzählte, dass sowohl die meisten meiner Kollegen als auch ich nicht an der Abschlussfeier meines Diplomstudiums teilnahmen - und am Ende meines Philosphiestudiums überhaupt keine Abschlussfeier standfand, waren einzelne doch etwas verblüfft. Zu solch einer Abschlussfeier gehören hier in Kenia vor allem einige Reden - und so durften mein Mitbruder Luis Amaral SJ, ein Student und schließlich auch ich eine Rede halten. 

Die Abschlussfeier wurde in großer Dankbarkeit vollzogen und unerwarteterweise erhielt ich von den Studenten ein Geschenk. Auf dem Geschenk war auch ein kleiner Zettel angebracht mit dem Text: "We love you Christian!" Zunächst einmal war ich gerührt ob des Geschenkes - der Text rief in mir jedoch den Gedanken hervor: "Wollen meine lieben Studenten mich jetzt auf den Arm nehmen?" Immer wieder kritisierte ich sachlich und freundlich meine Studenten, weil sie zu wenig lernten, zu spät oder unregelmäßig kamen. Das gesellige Zusammensein im Anschluss an die Feier war dann so herzlich, dass der Text auf dem Geschenk wohl wirklich ernst gemeint war. Einige Tage später fragte ich einen Kenianer, wie er die Aussage verstehe und erklärte ihm den Hintergrund. Darauf erwiderte er: "Ein klares Auftreten des Lehrers wird von Studenten sehr geschätzt - und vielleicht haben sie auch geschätzt, wie sehr Du sie ernst nimmst. Und vielleicht hast Du ja auch gut unterrichtet."

Gruppenfoto der Studenten meines Kurses - einige Absolventen konnten leider nicht an der Abschlussfeier teilnehmen.

Am Ende der Feier fragte mich ein Student, wo meine Eltern und meine Familie leben. Nun die Antwort, dass meine Eltern und Geschwister in Deutschland leben, konnte er akzeptieren. Daraufhin fragte er, ob ich nicht verheiratet sei. Ich musste ihn dann daran erinnern, dass ich Jesuit bin und daher nicht verheiratet bin. Er entschuldigte sich und erklärte dies vergessen zu haben. Aber was ich denn dann mit dem vielen Geld mache, was ich hier verdiene, wenn ich keine Familie zu versorgen habe. Ich erwiderte lediglich, dass ich ja kein Geld verdiene.* Dies konnte er nicht fassen, er schaute mich mit großen Augen an und meinte: "Aber Du lehrst uns doch BWL und VWL, Du lehrst uns, wie man Geld verdient! Und Du verdienst nichts?" Ja, manchmal ist die Welt kompliziert.



*Ich persönlich erhalte kein Gehalt, jedoch bekommt meine Jesuitenkommunität in Nairobi ein kleines Gehalt für mich.

Montag, 7. Mai 2012

Mein neues Zuhause
- oder -
Wie ich Salesianer Don Boscos wurde!

"Gottes Wege sind unergründlich!" - oder getreu einem portugiesischen Sprichtwort, welches mein Novizenmeister verwendete: "Gott schreibt auf krummen Linien gerade." Sollte es vielleicht wirklich Gottes Wille gewesen sein, dass ich in Kakuma die Salesianer kennenlerne und Salesianer werde? Der eine oder andere fragt sich nun vielleicht, was mit mir los ist. Ist der Braunigger jetzt durchgeknallt  und mal ganz nebenbei Salesianer geworden, gerade als er vom Jesuitenprovinzial den offiziellen Brief erhalten hat, dass er von Herbst an Theologie studieren soll?

Don Bosco umgeben von Flaggen der Heimatländer versch.Flüchtlinge.
Ich kann alle beruhigen, es ist nichts Dramatisches passiert. Da beim Jesuitenflüchtlingsdienst eine Zimmerknappheit herrscht, habe ich Bereitschaft gezeigt ggf. für eine kurze Zeit  bei den Salesianern zu wohnen, da diese momentan genügend Platz haben und einen Jesuiten aufnehmen würden. Aufgrund eines Missverständnisses sind daraus dann allerdings gleich die gesamten letzten 8 Wochen meines Aufenthaltes in Kakuma geworden. Mein Wohnortwechsel irritiert einige Flüchtlinge und einige Kollegen beim JRS nennen mich nun Salesianer.
Am Sonntag beim Mittagessen mit Br. Benedikt (links) und P. Luke
Einerseits ist es Schade, dass ich nun vergleichsweise wenig Kontakt mit meinen Mitbrüdern und den anderen Kollegen habe, andererseits eröffnet mir das Leben bei den Salesianern eine neue Perspektive auf Kakuma und die Arbeit mit Flüchtlingen und außerdem lerne ich eine mir unbekannte Spiritualität kennen. Im Gegensatz zum JRS haben die Salesianer einen eigenen Wohnbereich, so dass es mehr einer Jesuitenkommunität entspricht - und folglich ist hier auch eine geistliche Atmosphäre vorhanden. Die Salesianer leben nicht im Gebiet der NGOs, sondern mitten im Flüchtlingslager - allerdings durchaus durch einen Zaun abgetrennt (wie Flüchtlinge untereinander sich auch durch Zäune abtrennen.) In diesen Wochen sind nur zwei Salesianer hier in Kakuma. Manchmal scheint mir, dass sie auch froh sind  einen weiteren Gefährten um sich herum zu haben. Die Salesianer Don Boscos sind in Kakuma mit ihrer traditionellen Tätigkeit engagiert: Berufsqualifizierende Ausbildung! So gibt es einjährige Kurse in verschiedenen Handwerken (Schneiderei, Schreinerei, Kfz-Mechaniker, Metallarbeit und Installateur, Elektriker, Maurer, Sekretär). Weiterhin werden 3-monatige Englisch- und Computerkurse angeboten. Auf diese Weise erreicht Don Bosco jährlich einige hundert Flüchtlinge - und Flüchtlinge können die Zeit im Exil sinnvoll zum Erlernen praktischer Tätigkeiten nutzen. Als ich in den letzten zwei Jahren gelegentlich kurz zu Besuch bei Don Bosco vorbeikam und über das Gelände lief, war ich immer wieder fasziniert, was mit sehr begrenzten Ressourcen erreicht werden kann. Vor einigen Wochen fertigte Don Bosco in seiner Ausbildungswerkstatt auch die Gestelle für die 20kV Solaranlage des JRS und setzte die Fundamente für die Gestelle.
Die Werkstätten Don Boscos bieten für Flüchtlinge einjährige Ausbildungen an, so Sekretärinnen, Metallarbeit, Kfz-Mechaniker, Schreinerei, Maurer, Schneiderei etc.
Da Don Bosco sowohl in einiger Entfernung zu meinem Hauptarbeitsplatz dem Education Center als auch auch dem allgemeinen Büro- und Wohnbereich aller NGOs liegt, habe ich nun ein Auto für mich alleine zur Verfügung, um mich frei bewegen zu können. Die Distanzen sind nicht groß - lediglich einige Kilometer, aber eben doch zu groß, um alles zu Fuss zurück zu legen.
Die Probleme, die dies mit sich bringt, habe ich dann schnell erfahren. Innerhalb der ersten Woche hatte ich insgesamt 3 platte Reifen. Auf dieses Abenteuer hatte ich nicht so richtig Lust, erfreulicherweise hatte ich in den drei darauffolgenden Wochen nur noch einen Platten. 
Die Rettung naht! Eine Kollegin kann nicht widerstehen und macht ein Foto.
Aus dem Schlamm herausgezogen! Die Freude steigert sich ins grenzenlose!
Ein weiteres Malheur ereignete sich vor kurzem, als es ausnahmsweise an einigen Tagen hintereinander geregnet hat. Ich bin munter losgefahren und schlitterte ein wenig durch den Schlamm - ein wenig wie bei Eis und Schnee, aber ich fühlte mich viel hilfloser. Plötzlich wollte mein Auto aber einfach nicht mehr weiterfahren. Ich sprach dem Auto lieb zu, aber es wollte nicht. Auch das Einschalten des Allrads änderte nichts daran. Vorwärts oder rückwärts fahren - nichts war möglich. Ich konnte Gas geben wie ich wollte - mein Auto ist im Schlamm stecken geblieben. Für die vorbeilaufenden Afrikaner ein Schauspiel. Einen Weißen zu sehen ist ohnehin nicht alltäglich, aber dann noch einen, der Auto fährt und im Schlamm festsitzt, dies ist eine Attraktion. Einige Vorbeikommende boten ihre Hilfe an - aber ich lehnte ab. Erstens hoffte ich, dass bald ein Auto des JRS kommen würde um mich herauszuziehen, zweitens wäre ich extrem dreckig geworden, wäre ich ausgestiegen und hätte versucht zu schieben, drittens konnte ich gar nicht aussteigen - denn die Fahrertür war an diesen Tagen nicht öffnenbar - ich hätte auf der Beifahrerseite aussteigen müssen und dafür meinen IT Assistenten in den Dreck schicken müssen, der auf dem Beifahrersitz saß. So warteten wir entzückt und glücklicherweise konnte nach einiger Zeit ein anderes Auto des JRS kommen und nahe genug heranfahren, um uns am Ende herauszuziehen (der Fahrer hatte zum Glück Gummistiefel, so dass ich sitzen bleiben konnte und er selbst auch nicht schmutzig wurde). Bis zu meiner Abreise soll es nun erst einmal mit dem Regen genügen, denn so viel Spaß macht es auch wieder nicht im Schlamm festzusitzen.