Dienstag, 13. Dezember 2011

Kontraste
oder
Von Scham, Chancenungleichheit und Ungewissheit

Als der Jesuit Hl. Franz Xaver 1542 mit dem Schiff von Portugal
nach Indien fuhr, ging er in Malindi für einige Tage an Land. Ich
bin hier mit drei Mitbrüdern in der Kapelle, in welcher er damals
die Eucharistie feierte.
Vor einigen Wochen nutzte ich die Chance für zwei Wochen Urlaub zu machen und ein wenig Tansania und die Küste Kenias zu besichtigen. Nach einem Zwischenstopp in Nairobi fuhr ich ins Noviziat nach Arusha und besuchte in Dar-Es-Salaam die Jesuitenschule und meinen deutschen Mitbruder P. Vitus Sedlmair. Im Anschluss schipperte ich mit der Fähre nach Sansibar und zurück und fuhr dann mit dem Bus nach Mombasa und Malindi in Kenia. Eine etwas größere Reise, aber insgesamt weder besonders teuer noch außergewöhnlich, oder? Nein, ganz stimmt dies nicht. Es kommt nämlich auf die Perspektive an. 
Einige Tage bevor ich Kakuma verließ und es den Flüchtlingen erzählte, die mit dem JRS arbeiten, schämte ich mich ordentlich dafür. Am liebsten hätte ich gar nicht davon erzählt und mich heimlich davon geschlichen. Doch warum? Flüchtlingen ist es nicht gestattet einfach einmal Kakuma zu verlassen. Dafür benötigen sie eine Reisegenehmigung vom UNHCR. Diese ist erhältlich, wenn ein Arzt in Nairobi aufgesucht werden muss oder ausnahmsweise für den Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landesteil. (Etliche Flüchtlinge fahren auch ohne gültige Papiere nach Nairobi und hoffen nicht von der Polizei kontrolliert zu werden - anscheinend kann dies jedoch mit ein wenig Geld geregelt werden). Gar in ein anderes Land zu reisen, ist für Flüchtlinge aber vollkommen unmöglich. Und auch durchschnittlich 20 Euro pro Tag für Bus, Übernachtung und Verpflegung aufzubringen, ist für viele Flüchtlinge nahezu unmöglich. Entsprechend erstaunlich empfand ich die erhaltenen guten Wünsche für meine Fahrt. Ich konnte keinen Neid wahrnehmen. Und als ich wieder nach Kakuma zurückkehrte, wurde ich mit großer Freude empfangen. Ich fühlte mich so beschämt!
Badende Kinder in Stonetown auf Sansibar
Während meiner Reise stach mir ins Auge, wie groß doch die Unterschiede zwischen den Lebens- und Ausgangsbedingungen für Kinder sein können. Auf Sansibar und an der kenianischen Küste waren Kinder ordentlich angezogen, badeten im Meer, freuten sich des Lebens... Touristen lassen ordentlich Geld da - wovon auch Kinder profitieren. Als ich dann in Lodwar ankam, der Provinzhauptstadt zu welcher auch Kakuma gehört, kamen mir immer wieder Kinder in zerrissenen, schmutzigen Kleidern entgegen und bettelten. Von Freude war nicht das geringste zu spüren. In Kakuma geht es sowohl Kindern der Gastgemeinde als auch Flüchtlingskindern besser - die Präsenz der Organisationen hat materiell einen positiven Effekt - aber die Lage ist für Kinder hier trotzdem schwierig. Welch einen Unterschied es macht, ob man an der Küste Kenias oder in der Halbwüste Turkanas geboren ist (ganz zu schweigen von dem extremen Unterschied, ob jemand in der Halbwüste Turkanas oder in Deutschland geboren ist).
Noch ein weiterer Aspekt bereitete mir in den letzten Wochen Gedanken. Viele Erwachsene Flüchtlinge begannen ein Studium in ihrer Heimat und mussten die Heimat verlassen, ohne es beenden zu können. Jetzt sind sie hier in Kakuma und wissen nicht, was die Zukunft bringt. Ein junger Kongolese erzählte, dass er im dritten Studienjahr Biochemie war, als er nach Kenia floh. Das Studium zu beenden ist hier unmöglich und was bringt die Zukunft? Wird er wieder in die Heimat können? Wahrscheinlich nicht! Falls er von den USA, Kanada oder Australien aufgenommen wird, was kann er dann dort arbeiten? Er hat keine abgeschlossene Ausbildung! Ihn quält die Ungewissheit, was er eines Tages einmal machen wird. Und wie lange bleibt er hier in Kakuma? Wer weiß dies schon. So geht es vielen. Ein Äthiopier meinte, dass die Ungewissheit, wie lange er noch in Kakuma ist, für ihn das schlimmste sei. Als Strafgefangener im Gefängnis sei wenigstens klar wann man wieder frei sei. Er ist bereits 18 Jahre hier - aber wie lange wird er noch hier sein?
Auch bei diesen Berichten muss ich immer wieder schlucken. Was kann ich schon auf solche Geschichten antworten - ich hatte gute Studienmöglichkeiten und ich weiß, dass ich nach insgesamt knapp zwei Jahren wieder in Deutschland sein werde.
Der Strand auf Sansibar - klares Wasser und weißer Sand
Als ich während meines Urlaubs abends am Strand saß und über diese Dinge nachdachte, so konnte ich Gott nur für die empfangenen Wohltaten danken und für die Menschen bitten, die nicht die entsprechenden Chancen haben und mit ihrem Schicksal leben müssen.

3 Kommentare:

  1. Hallo Christian,
    danke für Deine detailierten Ausführungen in Deinem Beitrag. Ich wünsche Dir auch weiterhin viel Erfolg bei Deiner Tätigkeit im Fluechtlings- lager Kakuma und das wir uns ggf. einmal in Hannover wiedersehen. Es würde mich sehr freuen.

    Hans K. aus Hannover

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  2. Wenn ich deine Bilder von Sansibar sehe werde ich ja schon ein bisschen neidisch, muss ich zugeben. Iss ja der Hammer! War bestimmt sehr schön dort. Und ich würde sagen: Du hast es Dir verdient!!

    G.B.

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  3. Du kommst ja ganz schön rum. War das Dienst oder Urlaub? Vermutlich nicht Urlaub, sonst müsstest Du Dich jetzt nicht ausruhen.

    J.A.

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