Freitag, 27. Januar 2012

Lebensgeschichten
oder
20 Jahre im Flüchtlingslager, und wie geht's weiter?

Heute berichte ich die Lebensgeschichte von Amare aus Äthiopien. Bereits seit knapp 20 Jahren ist Amare ein Flüchtling und davon fast die gesamten  20 Jahre in Kakuma. Amare kommt aus einem ländlichen Gebiet; seine Eltern bestellten ein wenig Land und hatten einige Tiere. Als Amare etwa 13 Jahre alt ist, belagern Rebellen sein Dorf und zerstören schließlich auch die Schule. Die Bevölkerung wundert sich über das Vorgehen der Rebellen, denn eigentlich haben Rebellen zum Ziel die Regierung zu stürzen. Warum werden dann die eigenen Landsleute belagert und die Schulen zerstört. Die Antwort ergibt sich bald, als Rebellen beginnen Jugendliche zu rekrutieren. Wenn Jugendliche keine Möglichkeit mehr haben die Schule zu besuchen, schließen sie sich bereitwilliger den Rebellen in deren Kampf an.
Kurz darauf bricht eine Dürre- und Hungerkatastrophe über das Land herein - viele schließen sich den Rebellen oder dem Militär an – dort gibt es immerhin genügend zu essen. In dieser Zeit baut eine westliche Organisation Waisenhäuser mit Schulen auf. Amare täuscht vor ein Waise zu sein – seine Mutter starb zwar einige Jahre zuvor, sein Vater lebt jedoch noch. Auf diese Weise bekommt Amare die Chance die Schule zu besuchen und ist davor geschützt entweder von der Regierungsarmee oder den Rebellen gewaltsam rekrutiert zu werden. Im Jahr 1990 kann Amare seine Schulbildung abschließen. 

In Kakuma gibt es einge äthiopische Restaurants. Auf dem
Foto ist das Team des Education Centers zu sehen, welches
zum Abschied von P. Chris Jenkins SJ im äthiopischen
Restaurant zu Mittag aß.
Amare entschließt sich an der Universität in Addis Ababa zu studieren. Sein Heimatort wird zu dieser Zeit von Rebellen belagert, so dass er nicht mehr seinen Vater besuchen will. Er fürchtet die Rebellen könnten herausgefunden haben, dass er sich mit einem Trick in die Schule geschmuggelt hat, um vor den Rebellen zu entkommen. Die Rebellen würden dies mit Folter und Mord bestrafen. 1991 gelangen schließlich die Rebellen an die Macht und versprechen Demokratie. Amare hofft auf eine bessere Zeit, doch diese Hoffnung wird bald getrübt. Er möchte an einer Demonstration teilnehmen, als Eritrea die Unabhängigkeit anstrebt. Als er mit anderen Studenten die Universität verlässt, um zur Demonstration zu gehen, stehen sowohl Polizisten als auch Anhänger der neuen Regierung vor der Tür und töten mit Schusswaffen und Messern. Amare zieht sich glücklicherweise nur einige Schnittverletzungen zu. Aufgrund der Auseinandersetzungen flieht Amare in ein Flüchtlingslager im Nordosten Kenias. Dort bleibt er ein halbes Jahr – doch aufgrund von Krankheiten und einer schwierigen Nahrungsmittelversorgung, zieht er es vor nach Äthiopien zurückzukehren, nach Möglichkeit einen Universitätsabschluss zu machen und seine Familie finanziell zu unterstützen. Er kann zunächst sein Studium fortsetzen, wird dann aber bald von der Universität ausgeschlossen. Kurz darauf wird er festgenommen und immer wieder unter Folter verhört. Er wundert sich, was die Behörden alles Wissen und schließlich erfährt er auch, was er alles in Kenia seinen Freunden und Bekannten erzählte. Das Regime hatte also seine Spitzel im Flüchtlingslager in Kenia. Als er offiziell mit vielen anderen in ein anderes Gefängnis verlegt werden soll, gelingt ihm und einigen anderen die Flucht. Wäre ihm dies nicht gelungen, so wäre er wohl ermordet worden. Bei Verlegungen in andere Gefängnisse wurden die Gefangenen oftmals nur auf das Land gefahren und auf freiem Feld erschossen. Ihm gelingt es seine Tante in Addis Abeba kurz zu besuchen und mitzuteilen, was geschehen war. Er flieht dann nach Kenia und kommt nach Kakuma. In Kakuma trifft er alte Bekannte aus dem anderen Flüchtlingslager – ihnen berichtet er nicht, dass er nochmals in Äthiopien war (sie würden ihn für einen Spion halten), sondern erzählt, dass er an der Küste illegal gearbeitet habe. Lange Zeit hat Amare die Hoffnung nach Äthiopien zurückkehren zu können und seine Familie zu unterstützen. Diese Hoffnung verliert er aber mit dem Ausgang der Wahlen in 2005 – die Regierung weigert sich die Macht an die siegreiche Opposition zu übergeben.

Über die Jahre hinweg gehen Amare viele Dinge durch den Kopf. Mit seinem Vater hat Amare von 1989 an keinen Kontakt mehr. Er fühlt sich schuldig, dass er seinen Vater nicht unterstützt – dies gehört in seiner
P. Chris Jenkins und ich in einem anderen äthiopischen
Restaurant nach dem Feierabend auf einen Kaffee wartend.
Kultur zu den Pflichten der Söhne. Daher fällt es Amare schwer das „Vater unser“ zu beten – dabei wird er an seine Vater und seine Pflicht erinnert und fühlt sich schuldig. Amare geht davon aus, dass sein Vater bereits längst verstorben sein muss. Über das Internet findet Amare im Jahr 2010 einen ehemaligen Freund im Dorf seines Vaters und erfährt, dass sein Vater noch lebt – er ist mittlerweile Mitte 80. Anfang 2011 kann er seinen Vater dann in Nairobi treffen – und sein Vater erleichtert ihm sein Gewissen – der Vater ist bereits glücklich zu sehen, dass sein Sohn noch lebt und einigermaßen gesund ist.

Amare sagt, dass er während seines Aufenthalts in Kakuma viel gelernt hat – wie z.B. über Kulturen und Toleranz oder wie wichtig die Zugehörigkeit zu einem Volk ist. So trifft es ihn immer wieder bis ins Mark, wenn er von Einheimischen hört, dass das Land den Turkanas gehört und sie die Flüchtlinge zwangsläufig dulden müssen. Ebenso trifft es ihn stets, wenn Menschen behaupten, er sei aus wirtschaftlichen Gründen in Kakuma. Gerne wäre Amare an einem anderen Ort und würde für seinen Lebensunterhalt arbeiten, doch abgesehen von kleinen Arbeiten für NGOs dürfen Flüchtlinge keine Arbeit aufnehmen. Amare ist wie die meisten Flüchtlinge auf die vierzehntägig ausgeteilten Lebensmittelrationen des World Food Programs angewiesen. Er schämt sich dorthin zu gehen und um Essen zu betteln, entsprechend ist er froh, dass mittlerweile ein Nachbar seine Ration für ihn abholt.

Seit fast 20 Jahren lebt Amare in einer Gegend mit einem Klima, welches ihm nicht zusagt. Amare weiß nicht wie lange er noch in Kakuma bleiben muss. Er sagt: "Im Gefängnis ist wenigstens klar nach wie vielen Jahren  man wieder frei ist, doch hier weiß niemand wie lange jemand noch bleiben muss. Wer weiß, wie lange ich noch bleiben muss!" Die Ungewissheit darüber wie lange er noch in Kakuma bleiben muss, zermürbt ihn. Aber er möchte auch nicht sagen, dass sein Leben schlecht sei – dies würde er als Gotteslästerung empfinden, denn schließlich kann er dankbar sein noch zu leben, gesund zu sein und genügend zu essen zu haben.

Samstag, 7. Januar 2012

Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?
oder
Die Christmette in der äthiopisch orthodoxen Kirche

Bei Gesang und Tanz freuen sich die äthiopischen
Christen über die Geburt Christi. Im Hintergrund
ist die Wand zwischen Altarraum und
Kirchenschiff zu sehen, die mit Ikonen verziert ist.
Es ist schon wieder zwei Wochen her, dass der Heilige Abend und Weihnachten gefeiert wurde. Der Alltag hat sich wieder eingestellt. Kann da jetzt schon wieder Weihnachten gefeiert werden? Ja, und zwar feiert die orthodoxe Kirche das Weihnachtsfest 13 Tage später als die Kirchen des Westens. Hier in Kakuma feierten nun die äthopisch-orthodoxen Christen Weihnachten. Im Education Center arbeitet ein äthiopischer Flüchtling, mit welchem ich an der Liturgie der Weihnachtsnacht teilnahm. Eine kleinere Schwierigkeit bestand darin abends gegen 20 Uhr ins Camp zu gelangen, was in der Regel gar nicht so einfach ist, da die großen Tore, welche einzelne Teile des Lagers von einander trenne aus Sicherheitsgründen bei Einbruch der Dunkelheit gegen 19:00 Uhr verschlossen werden. Aber mit einem kleinen Trick gelang es mir ins Lager zu kommen. Dann verbrachte ich bei meinem Kollegen noch etwa eine Stunde, bevor wir zur äthiopischen Kirche aufbrachen. Die orthodoxe Kirche ist sehr schön ausgestattet - die Wände gestrichen, kleine Ikonen sind an den Seitenwänden, die Ikonostase (das ist die Wand zwischen dem Altarraum und dem inneren Kirchenschiff) ist mit großen Ikonen geschmückt und der Boden mit Teppichen bedeckt. Dagegen wirkt die sehr karge katholische Kapelle nahezu trostlos.
Bei unserer Ankunft wurden wir vom Priester in die Kapelle gebeten. Der Priester ist ebenso wie zwei Mönche ein Flüchtling. Die beiden Mönche und der Priester haben in Kakuma Zuflucht gefunden und sind für die äthiopischen Christen in Kakuma ein großes Geschenk, da so orthodoxe Gottesdienste stattfinden können. Von 21:30 Uhr bis 1 Uhr nachts wurde gebetet, gesungen und vor Freude ueber die Geburt des Herrn getanzt. Um 1 Uhr begann dann der Gottesdienst, welcher sich bis kurz vor 4 Uhr hinzog, die gesamte Feier dauerte also 6 1/2 Stunden. Zum anschließenden Snack musste ich dann auch noch, so dass ich erst gegen 4:45 Uhr wieder bei meinem Kollegen ankam und mich dort auf's Ohr legen konnte (die Nacht war kurz, da wir hier ja auch samstags arbeiten).
Für mich persönlich war es ein Erlebnis diese Liturgie einmal zu erleben - auch wenn ich nichts verstanden habe, da natürlich alles in der liturgischen Sprache Ge'ez statt fand. Es war für mich erstaunlich, dass  keine Ikonen verehrt wurden (wie es sonst in orthodoxen Kirchen meist der Fall ist) und erst am Ende des Gottesdienstes Kerzen angezündet wurden, als eine Prozession um die Kirche stattfand. Sichtlich freuten sich einige Menschen über meine Anwesenheit. Im Anschluss wurde mir klar, dass für einige meine Anwesenheit ein Zeichen einer ökumenischen Verbundenheit darstellte, denn viele der Äthiopier wissen mittlerweile durch meinen Kollegen, der Community Leader für einen Teil der Äthiopier ist, dass ich irgendwie ein Kirchenmann bin. Mir scheint, dass viele den Eindruck haben - weißer Mann also ist er auch ein Kirchenmann. Dies ist momentan in Kakuma ja auch der Fall - die einzigen drei weißen Männer in Kakuma sind Jesuiten. Allerdings wissen viele Äthiopier mich nicht richtig einzuordnen - einige nennen mich Pater, andere Bruder und für andere bin ich ein weißer Katholik, der hier in Kakuma arbeitet.

Der Freudentanz und -gesang der Gläubigen im nachfolgenden Video war das Ende der Gebetszeit und kurz danach begann die Messfeier. Insgesamt ist es sehr dunkel - liegt zum einen daran, dass die Beleuchtung nicht so prickelnd war und zum anderen an den Weihrauchschwaden im Raum - an Weihrauch sparen unsere orthodoxen Brüder jedenfalls nicht.

Allen orthodoxen Christen wünsche ich eine gesegnete Weihnachtszeit!