Donnerstag, 29. September 2011

Eindrücke aus dem Nirgendwo
oder
Impressionen aus Kakuma



Bei der Durchsicht meiner bisherigen Posts ist mir aufgefallen, dass ich bisher kaum ueber die Stadt Kakuma berichtet und gar keine Bilder von dort gepostet habe. Dies will ich nun nachholen.

Wie frueher bereits einmal erwaehnt bedeutet der Name Kakuma in Kiswahili soviel wie Nirgendwo. Kakuma liegt in der Region Turkana; wobei die Einheimischen dem gleichnamigen Stamm angehoeren. Die Gemeinde zaehlt rund 80.000 Einheimische, die meist in kleinen Siedlungen einige hundert Meter oder einige Kilometer vom Stadtkern entfernt leben, sowie etwa 80.000 Fluechtlinge.

Das Foto rechts habe ich vom Wassertank des Ortes aufgenommen. Dieser Wassertank hat fuer die meisten Menschen jedoch keine Bedeutung, da in Kakuma sehr wenige Haushalte an das Wassersystem angeschlossen sind - wenn es einige hundert Personen sind, so duerften es bereits viele sein. Auf dem Foto ist auf der rechten Seite das Missionhospital zu sehen. Fuer die lokale Bevoelkerung stellt es die einizige medizinische Versorgung dar. Im rund 130 Kilometer entfernten Lodwar ist dann wieder ein Arzt zu finden. Das Missionhospital wurde von Ordensschwestern gegruendet und noch immer sind einige  Ordensschwestern dort taetig - das Krankenhaus ist in Traegerschaft der katholischen Dioezese. In der Mitte des Fotos ist ein rotes Gebaeude sichtbar. Es ist die katholische Kirche. Die meisten Menschen bekennen sich in Kakuma zur katholischen Kirche. Aber es gibt wenigstens noch ein dutzend andere Kirchen in Kakuma, wie z.B. die Cornerstone Church, Worldwide Church of God, Reedemer Church, Anglican Church, Ethiopian Orthodox Church, Baptist Church, Presbyterian Church etc. Es scheint so, als ob jeder, der etwas auf sich haelt eine eigene Kirche gruenden muss.
Viele Menschen leben in Huetten, wie sie auf dem linken Foto zu sehen sind. Die Huetten sind aus Stroh, Gras und Buschzweigen und haeufig mit Plastikplanen abgedeckt, fuer den Fall dass es regnet. Wenn es allerdings richtig stark regnet, wie es dieses Jahr einige Male der Fall war, dann steht die Huette am Ende vollkommen unter Wasser und alles versinkt im Schlamm.

Landwirtschaft kann in Kakuma nur begrenzt betrieben werden. Es regnet zu selten und es ist viel zu heiss. Daher konzentrieren sich viele Menschen auf Viehhaltung - es gibt vereinzelt Kuehe, Kamele oder Esel, am weitesten verbreitet sind Ziegen. Da nicht immer genuegend Futter vorhanden ist, muessen die Herden zeitweise von einem Platz zum naechsten ziehen. Entsprechend haben sich einzelne Menschen zu Nomaden entwickelt. 
 
Auf dem Foto oben ist die traditonelle Kleidung der Turkana zu sehen. Frauen tragen dutzende Perlenschnuere um den Hals, besonders junge Frauen, aber es gibt auch etliche alte Frauen, die diesen Schmuck tragen. Ein Fluechtling erzaehlte einmal, dass der Schmuck nur einmal woechentlich zum Waschen abgenommen wird - alles andere sei sonst zu aufwaendig. Wenn der Schmuck abgenommen sei, werde erst sichtbar wie extrem lang der Hals sei. Viele Maenner haben immer ihren Stock und ihren kleinen Hocker dabei. Der Stock dient zur Selbstverteidigung und auf den Hocker setzen sie sich bei jeder Gelegenheit - wenn sie warten muessen, das Vieh hueten oder sich einfach nur im Schatten versammeln.

Da Kakuma am Ende der Welt ist und hier fast gar nichts produziert wird, muessen alle Gueter mit Transportern bzw. LKWs ueber weite Strecken nach Kakuma gebracht werden. Entsprechend ist es schon erstaunlich, dass so viele verschiedene Dinge in Kakuma erhaeltlich sind. Von verschiedenen Getraenken (wie Cola, Sprite, Fanta, verschiedene Biere...), Milchprodukte (Milch, Yoghurt, Buttermilch), Gemuese, Getreide und Obst und alles erdenkliche fuer den Haushalt (wie Putzzeug, Hygieneartikel, Kochtoepfe...) und vieles mehr.
Auf dem Foto oben ist zu sehen, wie Getreide verkauft wird - an dutzenden Staenden werden die gleichen Getreidesorten verkauft. Mir stellt sich die Frage, ob mit diesem Handel wirklich etwas verdient wird oder es sich schon fast um Zeitvertreib handelt. Auf dem linken Foto verkaufen Frauen Gemuese - abermals sitzen sie in einer langen Reihe und warten auf Kunden. Wenn ich kurz vor Daemmerung an diesen Frauen vorbeigehe, so haben sie meist noch volle Schubkarren vor sich. Das Gemuese wurde meist rund 300 Kilometer transportiert und da es in Kakuma immer heiss ist, laesst sich Gemuese nur schwer lange lagern. Mich interessiert es unheimlich, wie viel am Ende wirklich bei den vielen kleinen Haendlern haengen bleibt. 
Es muss also viel transportiert werden und zwar ueber lange Strecken. Da kann es natuerlich vorkommen, dass das eine oder andere Gefaehrt dabei auf der Strecke bleibt. In Kakuma wurde daher beschlossen einzelne Gefaehrte im Zentrum einfach stehen zu lassen, um Kindern ein Abenteuer- und Freizeitparkvergnuegen zu garantieren. Ueberhaupt sind Kinder hier wesentlich leichter zufrieden zu stellen und koennen mit Kleinigkeiten spielen. So sind Kleinkinder schon zufrieden, wenn man ihnen einen Tetrapack gibt, diesen ein wenig zurecht schneidet, so dass er wie ein Auto aussieht und dann noch vier Flaschendeckel montiert, die als Raeder dienen (leider habe ich davon kein Foto). Diesen Tetrapack ziehen sie dann mit Freude hinter sich her.
Andere Kinder freuen sich darueber einen etwas groesseren Plastiksack zu suchen, ihn mit Tueten zu fuellen und irgendwie zusammen zu knoten. Schon ist der perfekte Fussball fertig. Wenn ich an einem bestimmten Haus vorbeikomme, sehe ich haeufig zwei Kinder mit Fahrradreifen, die sie vor sich herrollen und mit Freude hinterher rennen.
Auch wenn es einige Weisse hier gibt, so ist fuer Kinder mein Anblick immer wieder eine Sensation. Die Frage "How are you?" wird x-Mal gestellt. Selbst wenn man sie beantwortet, dann wird sie sofort nochmals gestellt und nochmals und nochmals. Die groesste Freude ist es dann fuer viele noch, wenn man einen Foto schiessen moechte.
 



Da es in vielen Siedlungen keine Pumpbrunnen gibt, gehen viele Menschen zum Flussbett, welches meist ausgetrocknet ist und graben nach Wasser, wie es auch die Frauen auf dem Bild links tun. Nach dieser muehseligen Arbeit gilt es dann noch den Kanister nach Hause zu tragen, und zwar auf dem Kopf (siehe naechstes Foto). In Afrika wird vieles auf dem Kopf getragen und ausbalanciert - Holz, Wasser, Getreide- und Kohlesaecke... Ich finde es immer wieder faszinierend, dass nichts herunterfaellt, jedenfalls habe ich dies bisher noch nie beobachtet.





Als ich letztes Jahr in Turkana ankam, fragte ich mich einige Male, ob diese Huegel, die aussehen wie ausgestreckte Zeigefinger, eine religioese oder kulturelle Bedeutung haben (siehe Foto links). Diese Huegel waren besonders haeufig auf den 130 Kilometern vom Flughafen nach Kakuma zu sehen. Schliesslich fragte ich einen Kollegen, der mir dann schmunzelnd erklaerte, dass dies Termitenhuegel sind, die ueber Jahre hinweg so anwachsen. 
  











Das Foto rechts gibt einen Eindruck zur Vegetation in Kakuma. In der Nähe des meist ausgetrockneten Flussbetts gibt es einzelne Sträucher und Bäume. Weiter ausserhalb von Kakuma gibt es noch wesentlich weniger.

Ueber den Sonnenuntergang in Afrika ist immer wieder zu lesen, wie wunderbar rot er doch sei. Eben so wie auf dem Foto unten. Ist er nicht schön? Allerdings habe ich einen solchen Sonnenuntergang bisher nur einige wenig Male erlebt. Bin ich also überhaupt in Afrika?

Montag, 12. September 2011

Lebensgeschichten - oder - Warum ist dieser Mensch hier in Kakuma?

Was ist die Lebensgeschichte dieses Flüchtlings? Weshalb ist er in Kakuma im Flüchtlingslager und nicht in der Heimat, denn schließlich ist in den Medien doch von gar keinen Konflikten in dessen Heimatland zu hören. Diese oder ähnliche Fragen stellte ich mir in den letzten Monaten immer wieder. Manchmal erahne ich die entsprechenden Gründe, oftmals tappe ich vollkommen im Dunkeln. Mit der Zeit haben einzelne Flüchtlinge Vertrauen zu mir gefunden und mir ihre Lebensgeschichte erzählt. In den kommenden Monaten werde ich regelmäßig die Lebensgeschichten einzelner wiedergeben. Die Namen und Orte sind geändert und die betroffenen Flüchtlinge haben mir ihre Zustimmung gegeben unter diesen Umständen ihre Lebensgeschichte zu veröffentlichen. 

Heute berichte ich von Martin aus dem Kongo

Martin ist Anfang 20, stammt aus dem Kongo, wirkt psychisch gesund, ist im Umgang mit anderen sehr zuvorkommend und stets freundlich. Vor rund 2 ½ Jahren hat er seine Heimat verlassen und ist über Burundi und Uganda nach Nairobi in Kenia geflohen, von wo aus er vom UNHCR ins Flüchtlingslager nach Kakuma geschickt wurde. Martin ist das dritte von fünf Kindern in seiner Familie. Seine Eltern stammen aus unterschiedlichen Stämmen und waren bereits Flüchtlinge. Aufgrund von Konflikten im Kongo mussten sie ihre jeweiligen Dörfer verlassen und flohen an einen anderen Ort einige hundert Kilometer entfernt. Im Exil lernten sie sich kennen, verliebten sich ineinander und heirateten. Noch im Exil kamen Martins beide älteren Geschwister und er zur Welt. Als Martin sechs oder sieben Jahre alt ist, beschließen seine Eltern wieder in das Heimatdorf seines Vaters zurückzukehren. Die Familienclans sind entsetzt wegen der Familiensituation, da die einzelnen Stämme von Martins Eltern verfeindet sind – die gesamte Familie wird von beiden Stämmen ausgeschlossen und gilt aufgrund der Mischehe als geächtet. Martins Familie zieht weiter und Martins beide jüngeren


Neu angekommene Flüchtlinge vor ihrem Übergangszelt.
In den  nächsten Monaten haben sie die Möglichkeit Ziegel aus
Schlamm herzustellen und von einer Organisation ein Blechdach
zur Verfügung gestellt zu bekommen.  








Geschwister kommen zur Welt. Eine Zeit der kontinuierlichen Migration beginnt: Die Familie ist häufig zu Fuß auf der Flucht, da die Familie als Schandfleck angesehen wird und beide Seiten sie am liebsten auslöschen würden. Martins Vater und seine beiden älteren Geschwister werden getötet. Schließlich beginnt sogar ein Krieg zwischen den beiden Stämmen. Falls jemand in die Hände des verfeindeten Stammes gerät, kann es passieren, dass er festgehalten, gefoltert oder getötet wird. Martin und seine Familie gehören beiden Stämmen an und wenn sie Übeltätern in die Hände geraten, gehören sie immer zu den Feinden – aufgrund der Mischehe. Als Martin eines Tages mit seiner Mutter und einem Bruder auf der Flucht ist, werden sie zusammen mit vielen anderen gefangen genommen. Sie werden alle zusammen in einem Raum festgehalten und einzelne Gefangene werden nacheinander getötet. Vor Martins Augen werden auch seiner Mutter und seinem Bruder die Kehle durchgeschnitten. Er wartet nur darauf, dass auch er an der Reihe ist – aber dann ist die Erde mit Blut getränkt und die verbliebenen Gefangenen werden in den Wald gescheucht. So kommt Martin mit seinem Leben davon. Martin beschließt aus dem Kongo zu fliehen, möchte aber zuvor noch innerhalb des Kongo versuchen seine Schulbildung zu beenden, was ihm auch gelingt. Er muss sich jedoch in dieser Zeit immer wieder im Busch verstecken. Nun hat Martin sogar die Chance am Fernstudienprogramm teilzunehmen. Er glaubt, dass sein Antrieb intensiv lernen zu wollen und nebenbei auch noch in einer NGO zu arbeiten damit zusammenhängt, dass er die Vergangenheit und die Erfahrungen hinter sich lassen und endgültig verarbeiten will. Mit Hilfe des Studiums und den hoffentlich daraus erwachsenden Möglichkeiten soll nun für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnen.